Kultur

Der Blick aus der Kapsel

von Die Redaktion · 8. März 2006

"Ewiger Aufenthalt auf ein und demselben Fleck / Um so erstaunlicher die Fähigkeit der Lebewesen, sich anzupassen / den Wirbel ihrer Herzschläge vorzutäuschen / die Hand ständig zum Salut", so der Text seines Gedichts "Überlebensstück". Bereits die Überschrift verrät, wie sich Bernhof im so genannten real existierenden Sozialismus gefühlt haben müsste. Als Mitbegründer des Leipziger Neuen Forums und Herausgeber der verbotenen Literaturzeitschrift "Umfeldblätter" in den Jahren 1988 und 1989, ist er überzeugt, dass die in "Überlebensstück" ausgedrückte Haltung "symptomatisch für viele" war. Wie er der "Leipziger Volkszeitung" 1989 im Interview berichtete, lehnte der Aufbau-Verlag diesen Text wie viele andere ab. Man konnte dort "nichts damit anfangen" und riet ihm, sich stattdessen mit der "Liebesproblematik" zu beschäftigen oder mit seiner Ausreise. Zudem, so Bernhof, habe er spezielle Probleme mit seiner Lektorin gehabt, deren Mutter "ZK-Mitglied und der Vater Lenin-Herausgeber" gewesen sei.

Seine im Sammelband "Wegen Schweigens zeige ich mich an" abgedruckten Gedichte und Texte - allesamt um das Jahr 1980 herum entstanden - lassen mal deutlich, mal unterschwellig erahnen, dass die staatliche Zensur den Dichtern zweierlei brachte. Zum einen: die immer wieder spürbare Vorsicht, die geboten war, wollte man offensichtliche Missstände anprangern. Zum anderen: die immensen Möglichkeiten, die dieselbe Vorsicht Denkern wie Bernhof bot. Zensur scheint manchmal der Kreativität förderlich. Anders sind Texte wie folgender nicht zu erklären. "Zukunft", so der Titel, sei: "Schon am Vortag die Nachrichten von heute ". Eine klare Botschaft an die staatlichen Rundfunk- und Presseorgane.

"Meine Texte wurden von Jahr zu Jahr kritischer", unterstrich Bernhof im Interview mit der "Leipziger Volkszeitung". Und je kritischer er wurde, desto weniger ließ das System eine Teilhabe am öffentlichen Leben zu: "Keine Einladung mehr zu Lesungen, Abbau der Zusammenarbeit mit den Verlagen." Er wurde "subtil und psychologisch auf dem neuesten Stand" abserviert.

Das hielt Bernhof nicht davon ab, seine Kritik immer offener zu äußern. Beispielsweise schrieb er 1982 in "Autodafé": "Wir werden beobachtet, Kluge durch Dumme, Starke durch Schwache, und umgekehrt." Bernhofs Texte sind hochinteressant - ein wahrer "Blick aus der Kapsel", wie er in einem Gedicht schrieb.

Holger Küppers

Reinhard Bernhof: Wegen Schweigens zeige ich mich an, projekte verlag 188, 2005, 170 Seiten,10,50 Euro, ISBN 3-938227-27-3

0 Kommentare
Noch keine Kommentare