Kultur

Der Baader- Meinhof-Komplex

von Anke Schoen · 21. November 2008
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Erst kürzlich spaltete das Gnadengesuch Christian Klars die öffentliche Meinung. Auch der aktuelle Kinofilm "Der Baader-Meinhof-Komplex", der auf dem gleichnamigen Buch Stefan Austs basiert, sorgt für kontroverse Diskussionen. Grund genug, den "Klassiker der RAF Literatur" neu aufzulegen.

Mysterium RAF

Stefan Austs 894 Seiten starkes Mammutwerk ist erstmalig 1985 erschienen, 1997 wurde die ursprüngliche Fassung um Informationen aus Stasi Unterlagen erweitert. Viele der ehemaligen Top-Terroristen hatten ihren Weg in die DDR gefunden. Mit gefälschter Identität wurden sie in die "realsozialistische Gesellschaft" integriert. Mehr als zehn Jahre später (2008) wird "Der Baader Meinhof Kopmplex" um zwei wesentliche Bestandteile ergänzt: Die neueste Auflage enthält nun teilweise unbekannte, desweiteren aus den Ermittlungsakten entnommene Fotos. Außerdem habe sich der Verdacht, dass die Gefangenen in ihren Zellen abgehört wurden, über die Jahre erhärtet. Auch das schlägt sich im neuen "Aust" nieder. Das Mysterium RAF kann dennoch nicht vollständig aufgeklärt werden: Die Todesnacht in Stammheim und die Schleyer Entführung bleiben nach wie vor rätselhaft.

Besonders intensiv schildert der langjährige Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Spiegel die Gerichtsverhandlungen, die schließlich in einer lebenslangen Haft in Stuttgart- Stammheim münden. Die Inhaftierten der ersten Generation werden in ihren Zellen tot aufgefunden. Die Gerichtsmediziner stellen Suizid fest, der bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist. Das Perfide daran: Nie hatte die RAF eine so große Sympathisantenszene wie während der Gefängniszeit von Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe und nach deren Tod. Auch der Hungertod Holger Meins trug dazu bei.

Stefan Aust macht evident, wie groß der Hass der Täter, die sich im Krieg gegen den Imperialismus und die BRD befinden, auf den Staat ist. Aber auch, wie unmenschlich, brutal und ungerechtfertigt sie ihre Opfer hinrichten. Er zeichnet ein feinsinniges Psychogramm der Terroristen wie der staatlichen Entscheidungsträger, beleuchtet ihre Motive, familiäre Herkunft oder ihren Bildungsgrad.

Stiller Beobachter

Stefan Aust protokolliert und dokumentiert. Er wertet nie, ist stiller Beobachter des Geschehens, der nie seinen Posten verlässt. In Sprache und Stil bleibt er seinem journalistischen Anspruch treu. Anschaulich geschrieben, mit gut verständlichen Sätzen führt er in das Leben und die Szenerie der RAF-Protagonisten der ersten und zweiten Generation ein. Ein wenig kurz kommen die Ereignisse des Februars 1985 bis zum Juni 1993. Das ändert jedoch nichts daran, dass niemand am "Baader Meinhof Komplex" vorbei kann, der sich ernsthaft mit der RAF auseinander setzen will.

Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex, Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2008
896 Seiten, 26 Euro, ISBN 978-3-455-50029-5


"Ihr könnt euch wohl nur vorstellen, dass sie Opfer gewesen sind. Ihr habt die Leute nie gekannt. Sie sind keine Opfer und sie sind es nie gewesen. Zum Opfer wird man nicht gemacht, zum Opfer muss man sich selber machen. Sie haben ihre Situation bis zum letzten Augenblick selbst bestimmt. Ja was heißt denn das? Ja, das heißt, dass sie das gemacht haben und nicht, dass es mit ihnen gemacht worden ist."
(Brigitte Mohnhaupt anlässlich des Todes der in Stuttgart- Stammheim Inhaftierten Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe)

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Anke Schoen

ist freie Journalistin.

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