"Ein Arzt für Körper und Seele", so beschreibt die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen den Forscher und Arzt Joachim Bauer. In den 22 Jahren, in denen Friedrichsen Gerichtsreportagen schreibt, hätte sie viele Fälle extremer Gewalt erlebt, die sie sich nicht erklären konnte. Meistens, so Friedrichsen, ging es den Tätern dabei nicht anders, wenn sie auf die Frage nach dem Motiv antworten sollen.
Freud war sich nicht so sicher
Seit Sigmund Freud mit seiner Theorie zum "Aggressionstrieb" erklärte, dass ein gewisses Gewaltpotential in der Natur des Menschen liege, konnten unerklärliche Gewaltdelikte mit dem Verweis auf den Begründer der Psychoanalyse verdrängt werden. Doch Bauer will mit seinem Buch den Aggressionstrieb widerlegen. Er behauptet, Freud sei sich bei seiner Theorie alles anders als sicher gewesen und die moderne Neurobiologie seine Zweifel jetzt begründen könne.
Mit seinem Buch will Bauer zeigen, dass brutale Morde in U-Bahnen, Amokläufe in Schulen oder h Kriege nicht mit dem Verweis auf "unerforschliche, unbeeinflussbare menschliche Grundkonstanten" zu erklären sind.
Kooperation, ein Überlebensprinzip
Dem Leser werden Bauers Aggressionsexperimente beschrieben, die zeigen sollen, dass Menschen grundsätzlich keinerlei Glücksgefühl empfinden, wenn sie Gewalt ausüben oder sie sehen. Laut Bauer gibt es keine biologische Legitimierung von Gewalt mit einem Aggressionstrieb.
Im Buch soll die soziale Komponente des Gehirns deutlich werden. Kooperation sei seit je her das zentrale Überlebensprinzip des Menschen. Es mache schon deshalb keinen Sinn für das Gehirn Glücksbotenstoffe bei Gewalt auszuschütten. Ganz im Gegenteil: seine Experimente hätten gezeigt, dass soziale Akzeptanz, fairer Umgang miteinander, Vertrauen und die Einem entgegengebrachte Sympathie glücklich machen würde.
Die Schmerzgrenze
Bleibt die Frage : Warum kommt es, wenn der Mensch so sozial veranlagt ist, dennoch zu Gewalt? Bauer zeigt mit seinem Buch, dass Aggression ein natürlicher Reflex auf Schmerz ist. Seine Forschungen zeigen dabei allerdings, dass nicht nur physischer Schmerz Aggressionen auslöst, sondern auch Angriffe auf die Psyche eines Menschen.
Wenn man Gewalttaten verstehen möchte, müsse man deshalb die Schmerzgrenze unseres Gehirns untersuchen, plädiert Bauer. Gemeint ist damit die Grenze, die physische oder psychische Schmerzen überschreiten müssen, um gewalttätiges erhalten auszulösen.
Die politische Dimension
Der Autor will zeigen, dass besonders soziale Ausgrenzung dem Gehirn erhebliche Schmerzen zufügen kann, die auf Dauer zu Gewalt führt. Soziale Ungleichheit sei ab einem gewissen Grad eine Form der gesellschaftlichen Ausgrenzung und würde deshalb nicht endlos toleriert, mahnt er. Das sei ein weiterer Grund für die Politik gegen Armut und Ungleichheit zu kämpfen. Im Alltag bräuchte es "Aggressionsflüsterer", die z.B. in der Lage sind, von Ausgrenzung betroffenen Schülern zu helfen. Nicht immer sei ein Psychotherapeut nötig, aber wichtig sei der Mut "im Gestus der Aufklärung, Gewalt verstehen zu wollen".
Joachim Bauer: Schmerzgrenze: Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag,
288 Seiten,
13,5 x 21,5 cm,
7 s/w Abbildungen
ISBN: 978-3-89667-437-1
Verlag:
Blessing
Erscheinungstermin:
11. April 2011