„Der Affront“: Banal beginnt der Weg in die Eskalation
Wie aus dem Nichts erwischen ein paar dicke Wasserspritzer den Vorarbeiter Nasser. Sie kommen aus einem provisorischen Abflussrohr eines Balkons. In der Wohnung leben zwei christliche Libanesen, Toni und Shirine. Der aus den Palästinensergebieten stammende Nasser will den Abfluss ordnungsgemäß herrichten. Doch Toni weist das Angebot rüde zurück. Nasser legt trotzdem los, doch Toni zertrümmert sein Werk. Nasser beschimpft ihn. Toni verlangt eine Entschuldigung und geht dafür bis zum Äußersten. Klingt komisch? Ist es aber nicht. Der eskalierende Krach zwischen den beiden Sturköpfen ist der Ausgangspunkt für ein Spektakel, das sinnbildlich für die nie geheilten Wunden des libanesischen Bürgerkrieges zwischen 1975 und 1990 ist.
Die Vergangenheit aufarbeiten
„Dieser Krieg endete ohne Gewinner oder Verlierer“, sagt der libanesische aufgewachsene Regisseur Ziad Doueiri. „Alle Beteiligten wurden freigesprochen, und diese Generalamnestie verwandelte sich in eine General-Amnesie. Wir haben sozusagen alles unter den Teppich gekehrt. Aber es wird in der libanesischen Gesellschaft keinen Heilungsprozess geben, solange wir uns nicht mit den damaligen Ereignissen auseinandersetzen.“
Doueiris Film, der in diesem Jahr für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert war, appelliert daran, diese Vergangenheit aufzuarbeiten. Wir tauchen in eine boomende Stadt ein, in der an allen Ecken gebaut wird. Seit den 90er-Jahren kennt das einst so kriegsgeschundene Beirut nur eine Richtung: vorwärts, und schnell vergessen. Doch Seelen lassen sich weitaus schwieriger reparieren als Gebäude. Zunehmend wird deutlich, welchen Ballast der Vergangenheit die beiden Kontrahenten mit sich herumschleppen. Yassers radikaler Gerechtigkeitssinn ist auch eine Folge seiner Erfahrungen in einem Palästinenserlager in Jordanien. Tonis dünnhäutige Attacke-Haltung und sein zugespitzter Blick auf Palästinenser und libanesisch-arabische Nationalisten speist sich auch aus der Flucht aus seinem Heimatdorf, die er als Kind durchlitt.
Ein persönlicher Konflikt erfasst ein ganzes Land
Doch all das wird nur allmählich in kurzen Momenten des Rückblicks entschlüsselt. Zunächst richtet sich der Fokus ganz auf die Zuspitzung des Konflikts, den Toni als Krieg – nämlich gegen die Herabwürdigung durch einen ungeliebten Palästinser – auffasst. Bei einer Begegnung vor Tonis Autowerkstatt, in der palästinenserfeindliche Tiraden eines früheren christlichen Milizenführers aus dem Fernseher plärren, kommt es erneut zum Konflikt. Toni beschimpft Nasser aufs Übelste und nimmt dabei Bezug auf ein Massaker an Anfang der 80er-Jahre. Dafür schlägt ihn Nasser, der sich noch immer nicht entschuldigt hat, zu Boden. Der vorübergehend arbeitsunfähige Toni verklagt ihn. Vor Gericht sieht man sich wieder. Und ein scheinbar harmlos begonnener Streit zwischen zwei Männern erfasst das ganze Land. Wieder einmal wackelt das ohnehin labile Gefüge zwischen den Volksgruppen und Konfessionen mächtig.
Der Prozess gegen den ebenso stoischen wie entschlossenen Yasser (Darsteller Kamel El Basha wurde bei den Filmfestspielen von Venedig als bester Schauspieler ausgezeichnet) dient der Wahrheitssuche: Welche Motive haben die Streithähne zu ihrem Verhalten getrieben? Doch diese werden schon fast zur Nebensache. Längst hat der Konflikt eine Eigendynamik gewonnen, die auch die höchste politische Ebene erfasst. Und die Anwälte scheinen ohnehin ihre eigenen Ziele zu verfolgen. All das hat keiner von beiden gewollt. So beginnt es, in Toni und Yasser zu arbeiten.
Auf Versöhnung angelegt
„Der Affront“ ist auf das Ziel einer Versöhnung ausgelegt, ohne sich einer Utopie hinzugeben. Vielmehr wird deutlich, was „einfache Menschen“ – zumal, wenn sie einander mindestens skeptisch betrachten – tun können, um einen Konflikt anzuheizen oder auch zu entschärfen. Nicht nur, aber gerade im Nahen Osten. Die Handlung folgt dabei verschlungenen Pfaden mit überraschenden Wendungen, ohne dabei klar Partei zu ergreifen. Andererseits wird schnell deutlich, welcher der beiden Protagonisten, denen zudem eher „rational“ veranlagte Ehefrauen an die Seite gestellt werden, der Sympathischere ist. Man hätte sich gewünscht, dass die Widersprüchlichkeit der Figuren etwas mutiger herausgearbeitet worden wäre, so thront die präzise, aber mitunter etwas didaktisch transportierte Botschaft über allem. Aber diese würde wohl jeder unterschreiben.
Info: „Der Affront“ („The Insult“, Libanon, Belgien, Frankreich, Zypern, USA 2017), Regie: Ziad Doueiri, Drehbuch: Ziad Doueiri und Joëlle Touma, mit Adel Karam, Kamel El Basha, Camille Sabaleh, Diamand Abou Abboud u.a., 113 Minuten
Ab sofort im Kino