Denkanstöße - Rezension

In ihrem Buch "Schweres Gepäck Flucht und Vertreibung als Lebensthema" setzt sich Helga Hirsch für einen Dialog auch mit unseren östlichen Nachbarn ein, um Stereotype in den Diskussionen abzubauen. Eine zusätzliche Aktualität ihres Buches ergibt sich auch aus der gegenwärtig geführten Auseinandersetzung um ein "Zentrum gegen Vertreibung" in Berlin. Zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene sind zunächst nur eine statistisch bekannte Größe. Dahinter stehen Menschen als Betroffene mit ihren Einzelschicksalen. Diese sind gekennzeichnet durch Heimatverlust, Verlust ihrer sozialen, materiellen und oft auch familiären Bindungen, ihren "Wanderungen" hin zu unbekannten Orten, durch das anhaltende Gefühl von Fremdsein oder ein Ringen um Anpassung, sowie die vielfältigen Bemühungen für einen Neuanfang.

In den sechs Geschichten von Helga Hirsch werden solche Lebensläufe und Erinnerungen der zweiten Generation mit großer Sensibilität erzählt: Da sind die Töchter, die mit ihrer Mutter aus Polen nach Deutschland kommen und sehr verschiedene Wege gehen. Der in Lodz geborene Günter hingegen sucht in seinen Erinnerungen die Heimat und stellt sich die Frage, welchen Sinn das Leben ohne Eltern und Heimat hat. Sein Zuhause ist die deutsche Sprache, die ihm niemand nehmen kann. Das Ehepaar aus Böhmen und Ungarn findet sich in der katholischen Studentengemeinde in Karl-Marx-Stadt. Eine Zeit lang leben sie als ungeliebte Untermieter. Die Tochter eines Balten verliert ihre Heimat schon 1939, als die Aussiedlung von der Reichsregierung und Estland beschlossen wurde. Die Wege der Klawitter Brüder zwischen Deutschland und Polen werden beschrieben, die Geschichte von Karpatendeutschen in Bayern erzählt. Alle geschilderten Schicksale berühren nicht nur, sie können und sollen auch Anlass zum Nachdenken über einen Teil deutscher Vergangenheit sein - auch wenn dieses Thema ambivalent bleibt.

In ihrem Nachwort gibt Helga Hirsch interessante Denkanstöße zum Begriff Heimat.

Dieter Köppe



Helga Hirsch: Schweres Gepäck - Flucht und Vertreibung als Lebensthema (mit einem Vorwort von Olga Tokarczuk), Edition Körber Stiftung, Hamburg 2004, Preis: 14 Euro, ISBN 3 89684 042 8