Kalter Krieg
Ebenso wie für die Geschichte dieser Zeit, gibt es in diesem Buch zwei Leitthemen. Zum einen, den alles überschattenden Kalten Krieg - von der Entwicklung der Atombomben und ihrer Anwendung
in Hiroschima und Nagasaki, auf Befehl von Präsident Truman, über den Rüstungswettlauf bis zur sowjetischen Atombombe 1949, der schließlich in der amerikanischen Wasserstoffbombe mündete. In
diesem Krieg ging es um Massenvernichtung, Auslöschung des Gegners, Weltherrschaft, Dominanz und viel Psychologie. Es stellten sich wohl die praktischen Fragen: Welche strategischen Stützpunkte
des Gegners müssen vernichtet werden, um einen Gegenschlag zu verhindern? Wie bekommt man die Atombomben dorthin? Letztlich geht es in diesem nuklearen Zeitalter nicht mehr um Soldaten oder gar
die Zivilbevölkerung, sondern nur noch darum, wie groß die die Bombe sein musste, um den Gegner zu brechen.
Es ist dann auch paradox, dass die Welt genau auf dieser Basis des nuklearen Terrors ein relativ stabiles Gleichgewicht gefunden hat. Das Zyniker und Realpolitikern wie Winston Churchill
geradezu die Schlussfolgerung auf die Zunge, dass die Logik des totalen Krieges - 1. und 2. Weltkrieg - ihr Ende erst in der Gewissheit der absoluten gegenseitigen Vernichtung fand. Friedrich
beschreibt dieses Paradox sehr schön am Bild zwei Skorpione in einer Flasche. Die Flasche ist die Welt und wird nicht größer und die Skorpione überleben nur auf Grund ihres tödlichen Stachels.
Die Psychologie der gegenseitigen Vernichtung wird noch perverser durch das Rüstungsgleichgewicht, das notwendig ist, um den Frieden zu wahren. Der Stärkere, sprich die USA, war also daran
interessiert, dass die Nuklearwaffe der Sowjetunion nicht so weit zurückfiel, da sonst der schwächere Skorpion aus Panik und dem Wissen der sicheren Niederlage zustechen würde.
Heißer Krieg
Der zweite wichtige Aspekt dieses Buchs ist der heiße Krieg. Das erste Beispiel für eine Provokation, die zu einem solchen heißen Krieg führen konnte, war die erste Berlin-Krise von 1948.
Darin wurden die amerikanischen Besatzer in Deutschland wirklich zu Rettern. Sie erfuhren zugleich die Standhaftigkeit der Berliner Bevölkerung sowie die deutsche Effizienz auf dem Flughafen
Tempelhof und beim Verbrauch der eingeflogenen Güter. Mitreißend beschreibt Friedrich den psychologischen Wendepunkt, an dem sich die Angst vor der sowjetischen Übermacht in die Einheit des
Westens wandelte und in der Luftbrücke ihre Verkörperung fand. Wieder benutzt Friedrich ein anschauliches Bild, das kurz und präzise die Lage zusammenfasst, in diesem Fall Trumans Strich im Sand
als Botschaft für Stalin mit der Aussage "Bis hier hin und nicht weiter". Zum Untermauern dieser Botschaft schickte er atomwaffenfähige Bomber nach Südengland - in Angriffsreichweite zu Moskau.
Wirklich heiß wurde der Krieg aber nicht in Deutschland, sondern in Korea, 1950. In diesem Fall ist die Diplomatie in der UNO ist interessant. Denn sie führte zu einem UN-Mandat für den
militärischen Einsatz gegen die Aggression aus Nordkorea. Das gerade erst kommunistisch gewordene China unter Mao Ze Tung hatte noch keinen Sitz im Sicherheitsrat. Die Sowjetunion hätte die
UN-Mission gegen das kommunistische Nordkorea aber sehr wohl durch ein Veto stoppen können.
Neu ist bei Friedrich die These, dass Stalin die Konfrontation mit den USA - die den Hauptteil der Truppen für die Korea-Mission stellen sollte - wollte und deshalb seinem Botschafter in
New York verbot das sowjetische Veto einzulegen. Es gibt dafür keine Beweise, weshalb bisher die gängige Meinung war, dass Stalin den Sicherheitsrat boykottierte, weil er ihn von
westlichen-imperialistischen Interessen dominiert sah.
Ebenso interessant ist Friedrichs These, dass auch Truman den Waffengang wollte, um der Expansion des Kommunismus endlich die Stirn zu bieten. Dieses Argument passt hervorragend in unsere
heutige Sicht dieser Zeit, aber auch hierfür gibt es keine Beweise. Zwei Gefahren lauern hier. Erstens die unzulässige Vereinfachung der Gründe für den Krieg. Denn selbst wenn Truman einmal
gesagt haben sollte "Jetzt zeige ich diesen sowjetischen Hurensohn mal was eine harte Rechte ist" - eine derartige Sprache ist nahe am Truman-Original und verkauft sich gut, steht hinter der
Entscheidung, einen Krieg zu beginnen, doch ein weit komplexerer Entscheidungsprozess. Zweitens, kann kein amerikanischer Präsident einfach einen Krieg beginnen. Die USA sind keine Diktatur,
sondern eine auf Werte gebaute Demokratie, denen besonders zur Legitimierung eines Krieges Genüge getan werden muss - Stichwort "Just War". Auch wenn Werte wie Freiheit oder wie in Korea das
Recht auf Verteidigung gegen einen Aggressor, im folgenden Krieg fast immer verschwimmen oder gar verraten werden, bleiben Sie dennoch als positive Gründe für die Entscheidung zum Krieg erhalten.
Sieund dürfen deshalb von Historikern wie Friedrich nicht unzulässig vereinfacht werden. Der Grat zwischen langweiliger Geschichtswissenschaft auf der einen Seite und Kaffeehausgeschichtchen auf
der anderen ist gewiss schmal. So steht Friedrich mit seiner zweifellos fesselnden Prosa immer in der Gefahr zu profan und vereinfachend zu werden.
Die Intervention Rot-Chinas und die stillschweigende Unterstützung der Sowjetunion auf Seiten Nordkoreas, wurde anfangs als möglicher Beginn des dritten Weltkriegs gesehen. Die
NATO-Militärdoktrin der Zeit unter dem Schlagwort "Massive Response", sahen vom ersten Moment eines ähnlichen Konflikts in Europa, den Einsatz alle verfügbaren Nuklearwaffen vor. Der
Oberbefehlshaber Pazifik, General MacArthur, und das amerikanische militärische Oberkommando forderten den Einsatz von Atombomben gegen China und in letzter Konsequenz war ein nuklearer
Schlagsabtausch mit der Sowjetunion während des Koreakriegs immer eine Option.
Nuklearer Frieden?
Hier kommen wir aber dann aber wieder zum kalten Krieg zurück, denn der Überlebenstrieb der beiden Skorpione ließ sie dann ihren tödlichen Stachel doch im Zaum halten. Im Nachwort des
Buches analysiert Friedrich gut, dass nukleare Vergeltung an Territorien gebunden ist. Sprich die Bombe braucht Fabriken und Städte, die sie vernichten könnte, um ihre stabilisierende
Schreckenswirkung zu entfalten. Er wirft folglich die kritische Frage auf, welche Wirkung Nuklearwaffen in unserer Zeit, in der Krieg meist nicht mehr zwischen Staaten ausgetragen wird, entfalten
werden.
Vor diesem Hintergrund ist die Territorialisierung der Terrorzentrale auf das Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan interessant. Sie fällt in das alte Denken des Kalten Krieges. Ein
nuklearer Terroranschlag würde wahrscheinlich eine ebensolche Vergeltung in diesem Gebiet zur Folge haben. Und vielleicht ist der Grund für das Ausbleiben eines derartigen Anschlags; egal von
welcher Terroristengruppe, ein zweites Mal der Albtraum von der umfassenden nuklearen Vernichtung, der die Welt vor Schlimmerem bewahrt. Denn der Zugang zu atomwaffenfähigen Materials scheint
trotz des Atomwaffensperrvertrages nicht besonders schwierig zu sein und Anleitungen zum Bau einer Atombombe sind inzwischen bestimmt im Internet verfügbar.
Jörg Friedrich hat ein fesselndes Buch für ein breites Publikum verfasst. Man sollte jedoch nicht jedes Wort darin auf die Goldwaage legen. Aber wer dieses Buch mag, wird sich mit
Sicherheit auf die Fortsetzung im Folgeband "Hemisphären" freuen.
Jörg Friedrich, Yalu - An den Ufern des dritten Weltkriegs, Propyläen, Berlin, 2007, ISBN, 978-3-549-07338-4, s. 609+Index