Beklemmend ist es, wenn man Aufsätze, Berichte und TV-Manuskripte aus dem letzten Vierteljahrhundert liest, die sich mit der Verherrlichung des NS-Systems, dem Mord an Migranten, dem Leugnen des Holocaust und allgemein dem Antisemitismus in der Bundesrepublik beschäftigen. Gesammelt sind die Texte des Rechtsextremismus-Experten Anton Maegerle im Buch „Vom Obersalzberg bis zum NSU“.
In einem zentralen Text beschreibt Anton Maegerle einen Besuch des Obersalzbergs im Jahr 1990. Auf dessen Kuppe stand eine „mit sensationellen Farb- und Schwarzweißaufnahmen aus der Hitlerzeit“ versehene Broschüre für seinerzeit 15 DM zum öffentlichen Verkauf, in der die „kühnen Ideen“ Adolf Hitlers gepriesen und die Forderung aufgestellt wurde, endlich „die Vergangenheit ruhen zu lassen“.
Nolte kämpft immer noch gegen die Sowjetunion
Maegerle beschäftigt sich mit der rechtsradikalen Studenten- und Jugendarbeit, mit antisemitischen Büchern, Sekten und esoterischen Wotan-Kämpfern, dem Nationalsozialistischen Untergrund, internationalen Verbindungen nach Dänemark oder dem Nahen Osten und Wissenschaftlern wie Ernst Nolte.
Letzterer löste mit seinem Artikel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ in der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 6. Juni 1986 den Historikerstreit aus. Das war vor beinahe 30 Jahren. Maegerle zeigt, wie Nolte im Jahr 1999 im theoretischen Organ der Jungen Nationaldemokraten, „Hier & Jetzt“, behauptet, das Konzentrationslager Auschwitz sei „als Höhepunkt einer ‚präventiven Partisantenbekämpfung’ eine Konsequenz des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion“ gewesen. Werden hier die Todeskammern mit dem Überfall auf die UdSSR oder das „Unternehmen Barbarossa“ mit der industriellen Vernichtung von Menschen „begründet“?
Im Vorwort schreibt Clemens Heni dazu: „Heute bekommt Nolte von auch in Deutschland preisgekrönten Historikern wie Timothy Snyder von der Yale University in den USA faktisch den Persilschein, eine Gleichsetzung von Rot und Braun ist längst Mainstream.“
Nahtlos vom „Dritten Reich“ in die Bundesrepublik
Erschreckt muss man feststellen, dass es nach 1945 eine große Zahl von altgedienten Nazis von den Schaltstellen des „Dritten Reiches“ bruchlos an diejenigen der jungen Bundesrepublik schaffte. Wie zum Beispiel der ehemalige Pressesprecher von Außenminister Joachim von Ribbentrop, Paul Schmidt, der als Paul Carell in der Illustrierten „Kristall“ mit seiner Serie über das „Unternehmen Barbarossa“ den Krieg gegen die UdSSR quasi fortsetzte und 1957 im „Spiegel“ die These von der Alleintäterschaft des Marinus van der Lubbe am Reichstagsbrand lancierte.
Die Liste der Medien, denen die einzelnen Beiträge dieser verdienstvollen Zusammenstellung entnommen sind, ist beeindruckend, reicht sie doch vom „blick nach rechts“ über die TAZ, die DVZ/Die Tat und die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung“ bis hin zu „Spiegel“, „stern“, Kontraste und Tagesschau.
Ein fast 30 Seiten starker Index mit Personen- und Organisationsangaben macht aus dem Buch ein Nachschlagewerk, das der Leser öfters zur Hand nehmen wird. Es erscheint als Band 1 der „Studien zum Rechtsextremismus und zur Neuen Rechten“ des „Berlin International Center for the Study of Antisemtism“.
Anton Maegerle, Vom Obersalzberg bis zum NSU: Die extreme Rechte und die politische Kultur der Bundesrepublik 1988-2013. Edition Critic, Berlin 2013, 409 Seiten, 20,00 Euro. ISBN 978-3-9814548-6-4
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.