Kultur

Das Trugbild des Antisemitismus

von Die Redaktion · 12. Mai 2006

Kritiker Israels, schreibt Finkelstein, gelten oft als "neue Antisemiten". Diese Stigmatisierung lenke von israelischen Völker- und Menschenrechtsverletzungen ab. Israel wolle das den Palästinensern zugefügte Unrecht verschleiern. Manche bezichtigten sogar Gegner des Irakkrieges antisemitischer Motive.

Westliche Medien fürchten den Vorwurf des Antisemitismus und verharmlosen das israelische Besatzungsregime, schlussfolgert Finkelstein. So leben viele Palästinenser in Obdachlosigkeit, weil Israelis systematisch ihre Häuser zerstörten. Arabische "Terroristen" unterliegen der Folter. Gegen das Völkerrecht verstoße ebenfalls die Mauer im Westjordanland, die Israel gebaut habe, um jüdischen Siedlungen dauerhaften Charakter zu verleihen.

1948 fielen hunderttausende Palästinenser einer "ethnischen Säuberung" zum Opfer; in zionistischen Augen existierte keine arabische Kultur, so Finkelstein. Eigentlich sei der Nahost-Konflikt ohne weiteres zu lösen. Israel müsse alle 1967 besetzten Territorien, Gazastreifen und Westjordanland, räumen. Dann könne ein unabhängiger palästinensischer Staat gegründet werden.

Israel möge die Konsensvorschläge der Staatengemeinschaft akzeptieren und nicht länger Palästinenser "vertreiben und entrechten". Finkelstein setzt sich insbesondere mit den Ideologen der amerikanisch-jüdischen "Lobby" auseinander, die jegliche Kritik an israelischer Politik als "neuen Antisemitismus" brandmarken. Sie halten israelische Interessen für sakrosankt.

Der "alte" Antisemitismus lehnte Juden aus religiösen oder rassischen Gründen prinzipiell ab, stellt Finkelstein klar. Hingegen verwechseln die Erfinder des "neuen" Antisemitismus jede Stellungnahme wider Israel mit Judenhass. Die Beschwörung des nationalsozialistischen Völkermordes solle Israel freisprechen. Etliche Publizisten fordern bereits, "antisemitische" Autoren strafrechtlich zu verfolgen.



Finkelsteins Eltern überlebten den Holocaust; er kennt die deutsche Situation. Aber auch Deutsche hätten israelisches Unrecht zu tadeln. "Die Sühne für vergangene Verbrechen darf niemals zur Duldung aktueller Verbrechen führen", fordert er.

Wirkliche Antisemiten kommen bei Finkelstein nicht auf ihre Kosten. Namhafte Politiker vom rechten Rand, erläutert der Autor, etwa Berlusconi und Le Pen, unterstützen Israel bedingungslos. Der Autor will echtem Antisemitismus vorbeugen. Ein missverstandener "Philosemitismus" ermöglichte Israels "mörderischen Weg" und begünstige tatsächliche Judenfeinde.

Massiv kritisiert Finkelstein die Schriften der amerikanisch-jüdischen "Lobby". Ihr gehören zahlreiche Universitätsprofessoren an. Der Studie "Plädoyer für Israel" von Alan Dershowitz, Jura-Professor in Harvard, widmet Finkelstein ein ganzes Kapitel.

Die These, in Europa grassiere Judenhass, wie das Berliner "Zentrum für Antisemitismusforschung" fälschlich postuliere, sei nicht zu beweisen.

Erneut verdanken wir Finkelstein wichtige Informationen und scharfsinnige Analysen.



Rolf Helfert


Norman G. Finkelstein: Antisemitismus als politische Waffe. Israel, Amerika und der Missbrauch der Geschichte, Piper Verlag, München 2006, 388 Seiten, 19,90 Euro, ISBN- 10:3-492-04861-7

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