Das Flüchtlingscamp in Berlin-Kreuzberg ist Geschichte, doch die Debatte um eine humane Asylpolitik geht weiter. Mit dem Bühnenprojekt „GRENZFAeLLE“, an dem auch ehemalige Campbewohner mitwirken, wollen zwei Berliner Theatermacherinnen ein Zeichen setzen. Eine davon ist die Schauspielerin Esther Zimmering. Mit ihr sprachen wir über Wege der Kunst, auf die Flüchtlingsdebatte einzuwirken und über entwürdigende Odysseen nach Europa.
Worum geht es in dem Stück?
Im Vordergrund steht die künstlerische Begegnung und der Austausch von Theatermachern mit einigen Geflüchteten vom Berliner Oranienplatz. Ich spiele die Ehefrau eines Afrikaners, der seit ein paar Jahren in Deutschland lebt und zum Bauunternehmer aufgestiegen ist. Seit der Flucht hat er seine Sicht auf die Dinge geändert. Eines Abends lädt er einige Freunde ein. Seine Frau bittet Bewohner eines Flüchtlingsheims hinzu. Und das Chaos beginnt. Aber es gibt Hoffnung.
Welches Konzept steckt hinter dem Titel?
Die Idee stammt von unserer Regisseurin Anna-Katharina Schröder vom Deutschen Theater. Es ist ein Wortspiel, man kann daraus auch „Grenzfalle“ machen. Ständig werden Grenzen überschritten: Aus Sicht der Politik bis vor Kurzem am Oranienplatz. Aber auch von uns Europäern, denn wir machen uns auf Kosten Afrikas ein schönes Leben. Diese Menschen müssen wegen Kriegen oder
der Folgen des Klimawandels ihre Heimat verlassen, doch wir sind überhaupt nicht in der Lage, ihnen Arbeit zu geben oder sonst wie einzubinden. Was wir in den letzten Monaten erlebt haben, ist bitter.
Wo proben Sie?
Viele Institutionen waren zuerst euphorisch und wollten uns kostenlose Räume zur Verfügung stellen. Als es ernst wurde, zogen sie sich zurück. Plötzlich passte es nicht mehr in den Spielplan. Momentan proben wir im Bethanienhaus oder in einem Jugendclub in Kreuzberg. Dort haben wir ein afrikanisches Essen und eine öffentliche Leseprobe veranstaltet. Wir wollen die Leute in den Alltag integrieren. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und der Flüchtlingsrat stehen uns zur Seite, ansonsten finanzieren wir alles selbst, zum Beispiel die Proberäume, den Auftrittsort oder das Catering. Jeder arbeitet ohne Gage. Unter www.startnext.de/grenzfaelle wir eine Crowdfunding-Kampagne gestartet.
Ist gerade die Asylproblematik ein Thema, wo sich Kunst einmischen sollte?
Zunächst soll das Stück einfach Theater sein, auch wenn es ein aktuelles politisches Thema aufgreift. Jede Figur ist wichtig. Es spielen acht Geflüchtete mit, die mittlerweile in anderen Berliner Unterkünften leben. Außerdem beteiligen sich vier Berliner Schauspieler.
Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Im Fernsehen sah ich die Bilder aus Lampedusa. Außerdem wollte ich seit Langem ein soziales Projekt starten und endlich mal wieder Theater spielen. Auf einer Demonstration lernte ich Anna kennen. Wir entschlossen uns, ein Projekt mit Geflüchteten zu machen. Anna hatte vorher bereits das Stück „Mythos Europa“ entwickelt. Mich gesellschaftlich zu engagieren, wurde mir zu Hause mitgegeben. Ich bin in einer sehr linken Familie in der DDR aufgewachsen. Nachdem mein Großvater aus der Emigration zurückgekehrt war, enteignete er Nazis.
Dennoch kennt man Sie vor allem aus eher unpolitischen TV-Produktionen.
Ich habe meine politische Ader wiederentdeckt. Ich habe lange nach einem Projekt mit einem derartigen Hintergrund gesucht. Ursprünglich hatte ich an Kinderarmut oder Obdachlosigkeit gedacht. Mit dem Theaterstück geht etwas in Erfüllung, was ich mir
lange erträumt hatte. Ich hätte generell mal wieder Lust auf eine politische Rolle im Theater oder im Film.
Woher stammen die Darsteller?
Aus Mali, Burkina Faso, dem Tschad und aus Lybien. Nach Gaddafis Sturz wurden viele von ihnen zwangsweise auf ein Schiff gekarrt und nach Europa gebracht. Einer wurde vor der Überfahrt bewusstlos geschlagen und fand sich plötzlich auf dem Meer wieder. Manche waren fünf Tage auf See, tranken ihren eigenen Urin und kamen völlig fertig in Europa an. Einige haben Menschen sterben sehen, weil ein Boot gekentert war. Dass sich Geflüchtete einfach nur ein Ticket beim Schlepper kaufen, ist ein Klischee.
Wie wird das Stück in der Realität verortet?
Wir möchten das Publikum für das Asylthema an sich sensibilisieren, aber auch darauf aufmerksam machen, was sich auf dem Oranienplatz abgespielt hat. Es ist so absurd: Diese Menschen sind zwischen 20 und 30 Jahren, sie haben so viel Kraft, es sollte die schönste Zeit ihres Lebens sein. Doch sie haben nichts zu tun. Das haben wir aufgegriffen. Deswegen sind die Geflüchteten mit dabei. Vorher hatten wir sie gebeten, uns von ihren Träumen zu erzählen und wie sie nach Deutschland gekommen sind. Zum Teil sind sie verschlossen, weil sie Ängste haben.
Wie sind Sie an die Refugees herangetreten? Oftmals schotten sich diese Menschen ab.
Nicht so am Oranienplatz. Die Zelte sind waren Demonstration, um darauf hinzuweisen, dass es diese Menschen gibt. Viele liefen daran vorbei, doch wer wollte, konnte hineingehen und sich die Geschichten der Zeltbewohner erzählen lassen. Auch ich bin dort ein Jahr lang vorbeigelaufen. Aber die Berührungsängste legten sich schnell. Jetzt ist das Verhältnis untereinander wie unter Freunden oder in einem Ensemble.
Was man von Europas Außengrenzen nicht gerade behaupten kann.
Das ist schrecklich. Menschen auf Booten werden zurück nach Afrika geschickt. Das ist unwürdig und verstößt gegen Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Ich würde das Stück gerne ein paar Politikern zeigen. Hoffentlich öffnet sich die Festung Europa eines Tages wieder.
Welches Bild haben Sie von der politischen Debatte über neue Flüchtlingsheime?
Die verfolge ich nicht so sehr. Ich fokussiere mich stark auf das Theaterprojekt. Was man aus Berlin-Hellersdorf gehört hat, geht gar nicht. Dass es nach dem Holocaust in Deutschland so eine Partei wie die NPD geben kann und sie nicht längst verboten ist, das ist absurd.
Info:
Ab dem 23. April – dann ist die Premiere – wird das Stück viermal im Heimathafen Neukölln aufgeführt.
Infos und Karten unter www.heimathafen-neukoelln.de