Kultur

Das Schweigen brechen

von Vera Rosigkeit · 17. September 2012

Die Fotoausstellung „Breaking the Silence“ hat viel Aufsehen erregt. Über die Organisation und ihr Wirken in Israel ein Interview mit dem Politik- und Islamwissenschaftler Ido Porat.

vorwärts.de: Der Besucher der Fotoausstellung „Breaking the Silence“ wird mit individuellen Erfahrungen von Soldatinnen und Soldaten konfrontiert. Ist das Absicht?

Ido Porat: Ja. Die Ausstellung versucht den Alltag von Soldatinnen und Soldaten in der Westbank und in Gaza zu zeigen. Es geht nicht darum, zu entscheiden, ob das, was dort geschieht, richtig ist oder nicht. Die Fotos zeigen, wie die Situation vor Ort ist, mehr nicht. Der Alltag als Soldat beeinflusst dich, er verändert dich auch wenn du Humanist bist.

Werden mit den Fotos im Kriegseinsatz gemachte Erlebnisse verarbeitet?

Sicher. Und das ist wichtig. Denn die Mehrheit der Israelis kommt nicht an diese Orte. Auch die meisten Soldaten kommen nicht dort hin. Vielleicht sind es zehn Prozent der Soldaten, die Erfahrungen in der Westbank haben. Und die, die berichten, wollen mitteilen, was sie dort erlebt haben. Sie wollen es ihren Familien mitteilen und ihren Freunden. Denn in der Armeezeit redest du nicht viel, du hast keine Zeit und bist immer in Gefahr.
Das ist auch das Problem der Ausstellung. Du siehst nur, dass die Palästinenser leiden und das ist wahr. Aber es gibt auch die andere Seite. Es gibt noch Terrorismus, besonders nach der Zweiten Intifada. Es ist kein gutes Leben als Soldat. Aber du willst nicht darüber reden, wie schlecht es ist. Erst nach der Armeezeit hast du mehr Zeit, darüber nachzudenken.

Ist es eine Minderheit, die berichtet?

Inzwischen sind es ungefähr 850 Zeugnisse, die von ehemaligen Soldatinnen und Soldaten vorliegen. Es sind nicht nur Fotos, sondern überwiegend Augenzeugenberichte, in denen Erfahrungen beschrieben werden. Die Organisation „Breaking the silence“ sammelt diese  Berichte und macht sie öffentlich. Und das ist wichtig, denn bis vor 10 Jahren hat in Israel niemand darüber gesprochen. Dazu kommt die Fotoausstellung, jedes Foto hat ein Zitat oder eine Quelle und das ist die Hauptsache.

Wie alt sind die Soldatinnen und Soldaten, wenn sie im Einsatz sind?

Sie sind sehr jung, zwischen 18 bis 21 Jahre alt. Aber viele kommen auch nach der Armeezeit und absolvieren ihre Reserveübung, die sie alle drei Jahre für mindestens einen Monat machen müssen.

Giltst du als Außenseiter, wenn du die Situation vor Ort kritisch reflektierst?

Ich glaube, es ist schwierig, wenn du deine Reserveübungen machst. Dann kommst du aus deiner Privatsphäre. Z.B. wenn du Sozialwissenschaften studierst und du musst von einem Tag auf den anderen wieder Soldat sein. Dann gehörst du nicht zu dieser Gruppe und du willst auch nicht dazu gehören. Dann bist du Außenseiter.

Wie ist die Resonanz in der israelischen Gesellschaft auf diese Organisation?

Zunächst einmal sind die Soldatinnen und Soldaten Respektpersonen, weil sie aktiv im Einsatz waren. Die Organisation hat auch Prestige, denn die Ausstellung war im israelischen Parlament, der Knesset. Es gibt natürlich auch viele Stimmen, die sagen, die Organisation richte sich gegen die Gesellschaft. Denn es ist schwer, in Israel darüber zu reden, was in der Westbank passiert. Aber es ist etwas Besonderes, was „Breaking the Silence“ macht, weil sie den Alltag zeigt, nicht den Terror. Aber das ist auch nicht ihr Job. Es ist eine begrenzte Sicht und es gibt ein Interesse in der israelischen Gesellschaft, etwas mehr darüber zu erfahren. Ich erinnere mich nicht an größere Anti-Aktionen gegen diese Organisation.

Also ist die israelische Gesellschaft offen für dieses Thema?

In Israel gibt es keine Diskussion über die Armee, denn sie hat eine wichtige Bedeutung in der Gesellschaft. Israel kontrolliert diese Gebiete, und es gibt keine humane Besetzung. Die Mehrheit der Israelis ist nicht unbedingt glücklich mit der Besetzung, aber viele sagen, es muss so sein, weil es sonst keinen israelischen Staat gibt.
Ich bin sicher, dass viele nicht so glücklich sind, dass die Ausstellung jetzt in Berlin ist. Sie werden sagen, ja es gibt Kritik, aber darüber müssen wir in Israel sprechen. Und natürlich will die Armee es nicht.

Hat „Breaking the Silence“ in der Gesellschaft etwas verändert?

Allein die Tatsache, dass es inzwischen 850 Zeugnisse gibt, zeigt deutlich, wie wichtig diese Organisation für die Soldatinnen und Soldaten ist. Sie wollen ihre Erfahrungen mitteilen können. Aber die Gesellschaft ist nicht offener als vor 10 Jahren. Das hat andere Gründe, die vor allem mit den Auseinandersetzungen nach der  Zweiten Inifada zu erklären sind.
Aber es gibt keine Diskussion über den Alltag von Soldatinnen und Soldaten in den besetzten Gebieten, denn niemand in der politischen Welt macht es zum Thema. Die Regierung macht es nicht, die große Oppositionspartei Kadima macht es auch nicht. Die meisten erklären, dass alle sozialen Probleme zur Besetzung gehören. Aber es ist wichtig, dass mehr Menschen in Israel darüber wissen.

Weitere Informationen:

Die Fotoausstellung „Breaking the Silence“ ist bis zum29.9.2012 im Willy-Brandt-Haus zu besichtigen. Für die Dauer der Ausstellung bieten israelische Reservisten von "Breaking the Silence" zu unregelmäßigen Terminen kostenfreie Führungen in englischer Sprache an. Eine Konsekutivübersetzung ins Deutsche ist ebenfalls möglich. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Bitte beachten Sie: Am 26. September 2012 finden aufgrund des jüdischen Feiertages Jom Kippur keine Führungen statt.


Die Berichte israelischer Soldaten ist auch in einem Buch erscheinen. Titel: „Breaking the Silence. Isrealische Soldaten berichten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten“. Mehr zum Buch finden Sie hier: Im Zwiespalt.


Ido Porat ist Vorsitzender von Hashomer Hatzair (“der junge Wächter”), einer jüdischen, sozialistischen und zionistischen Jugendbewegung in Deutschland.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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