Kultur

„Das Pfauenparadies“: Wenn die heile Familienwelt nur Fassade ist

Das italienische Drama „Das Pfauenparadies“ zeigt, wie Menschen jahrelang gepflegte Fassaden zum Einsturz bringen. Das Psychogramm lebt vor allem von seinem großartigen Ensemble und kann eine anhaltende Neugier beim Publikum erzeugen.
von ohne Autor · 8. Juli 2022
„Das Pfauenparadies“: Adelina (Alba Rohrwacher) hat einen ganz eigenen Blick auf die Realität.
„Das Pfauenparadies“: Adelina (Alba Rohrwacher) hat einen ganz eigenen Blick auf die Realität.

Ein Familienfest als Moment der Wahrheit ist ein beliebtes filmisches Erzählmotiv. Man denke etwa an Thomas Vinterbergs Drama „Das Fest“. Anders als in dieser stilprägenden und im Zeichen des Manifests „Dogma 95“ entstandenen Produktion geht es in „Das Pfauenparadies“ nicht um das eine, das Fundament einer Familie erschütternde Geheimnis, das unerwartet auf den Tisch kommt.

Der Film, der 2021 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig seine Premiere feierte, zeigt uns Eltern und Kinder, die seit Jahren mit Geheimnissen leben. So konnte sich innerhalb dieser Familie eine gigantische Fassade aus Sprachlosigkeit und Distanz aufbauen.

Trügerisches Familienidyll

Ein Wintertag irgendwo am Meer in Mittelitalien: Nena hat Geburtstag. Wieder mal bringt die ältere Dame den engsten Familienkreis zusammen. Nach und nach trudeln alle in der von einer frischen Brise erfüllten und sonnendurchfluteten Wohnung ein. Schnell wird den Zuschauenden klar, dass diese scheinbare Idylle auf Heimlichtuerei beruht. Es dauert ein Weilchen, bis die Akteur*innen auch untereinander die Schleier lüften, nachdem sie, wie zu erwarten war, zunächst zu einem wortreichen Smalltalk Platz genommen haben. Man redet viel, hört sich aber kaum zu.

Für die unfreiwillige Enttarnung bedarf es eines übernatürlichen Ereignisses. Ein ebenfalls angereister Pfau verliebt sich in die Taube auf dem Gemälde in Nenas Wohnzimmer. Diese plötzlich entflammte Leidenschaft und ein tragisches Ereignis, das darauf folgt, wirbeln einiges durcheinander. Dinge kommen ins Rollen und manch eine Maske fällt.

Spannungskulisse aus Andeutungen

Klingt banal? Ist es aber nicht. Diese Geschichte entfaltet einen intensiven Sog. Regisseurin Laura Bispuri, die auch am Drehbuch mitschrieb, setzt überwiegend auf Andeutungen, wenn sie die Vorgeschichte und die Heimlichkeiten ihrer Figuren entschlüsselt. Das hält die Neugier auf das, was war, ist oder noch kommt, bis zum Schluss am Leben.

Dass dieses Drama, das sich ganz auf den familiären Mikrokosmos konzentriert und oft im Ungefähren verharrt, so gut funktioniert, liegt nicht zuletzt daran, dass in Nenas guter Stube sehr unterschiedliche Charaktere zusammenkommen, die wiederum von herausragenden Darsteller*innen verkörpert werden.

Da wäre die ziemlich realitätsferne und ängstliche Schwiegertochter in spe Adelina (Alba Rohrwacher). Um ihrer Tochter eine Freude zu machen, schenkte sie ihm jenen Pfau, mit dem es kein gutes Ende nimmt. Auch die wirtschaftliche Existenz, die sie sich mit Nenas Sohn aufgebaut hat, ist mehr Illusion als Realität. Und doch ließe sich sagen, dass sie an diesem Tag, wo alle auf ein Mittagessen warten, das nie kommt, über sich hinauswächst.

Nenas Tochter Caterina (Maya Sansa) ist das genaue Gegenteil einer Träumerin. Doch auch dieser frisch getrennten Frau, die sich nimmt, was sie kriegt, bleibt der Realitätsschock nicht erspart. Und auch Nena selbst bietet spannende Facetten. Die 70er-Jahre-Ikone Dominique Sanda, unter anderem bekannt aus Bernardo Bertoluccis „Der große Irrtum“, bringt uns die auf den ersten Blick sehr unterkühlt wirkende Grande Dame sehr nahe.

Im Bann eines berührenden Realismus

Dass Bispuris Film einen oder eine schnell für sich einnimmt, ist die am Realismus orientierte, also Alltäglichkeit suggerierende Art der Inszenierung. Das beginnt bei den Figuren. Viele Persönlichkeiten stehen im krassen Gegensatz zueinander. Trotz des explosiven Potenzials einiger Situationen bleiben Überspitzungen aber die Ausnahme. Das erleichtert es uns, uns selbst und unsere eigenen Familienerfahrungen in dieser Gruppe wiederzufinden.

Hinzu kommt, dass auf Musik fast komplett verzichtet und sämtliche Szenen in natürlichem Licht gedreht wurden. Gerade diese beiden Elemente legen nahe, dass sich Bispuri an der besagten „Dogma-95“-Schule orientiert hat, um die Essenz ihrer Figuren und der Geschichte freizulegen, wenngleich das Ergebnis wenig radikal ausfällt.

Am Ende hinterlässt „Das Pfauenparadies“ mehr Fragen als Antworten. Der Film trägt relativ wenig zum Verständnis der Mechanismen bei, die dazu führen, dass sich Menschen mit einer Mauer aus Schweigen und Lügen umgeben. Wohl aber findet er eine ganz eigene Tonalität, um uns die Mannigfaltigkeit von großen und kleinen Damen vor Augen zu führen, wenn die Stunde der Wahrheit schlägt.

„Das Pfauenparadies“ („Il paradiso del pavone“, Italien/Deutschland 2021), Regie: Laura Bispuri, Drehbuch: Silvana Tamma and Laura Bispuri, mit Dominique Sanda, Alba Rohrwacher, Maya Sansa, Carlo Cerciello u.a. Im Kino

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