Kultur

Das neue Deutschland

von Jeannette Oholi · 9. April 2014

Deutschland ist ein „Einwandererland“. Der Sammelband „Das neue Deutschland. Von Migration und Vielfalt“ analysiert Begriffe, die im öffentlichen Diskurs über Zuwanderung immer wieder auftauchen. Die Autorinnen und Autoren suchen eine neue Sprache für die Vielfalt, fern von der Vorstellung einer einheitlichen Nation.

Verschleierte Frauen vor dem Schloss Neuschwanstein, ein Rabbi, der seinen Koffer über den Alexanderplatz zieht, ein Mann der am Rande eines Flugplatzes steht und auf ein Flugzeug in den Lüften zeigt: Momentaufnahmen hat die Agentur Ostkreuz in einem Fotoessay festgehalten. Es sind Bilder, die eine Gesellschaft und Menschen in Bewegung zeigen.

Anlässlich der Ausstellung „Das neue Deutschland. Von Migration und Vielfalt“ im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden ist ein gleichnamiger Begleitband erschienen. Die Beiträge darin folgen auf den Fotoessay der Agentur Ostkreuz und sind in vier Bereiche unterteilt: Mobilität, Zusammenleben, Identität und Ordnung der Vielfalt.

Die Autorinnen und Autoren – darunter die SPD-Politikerin Lale Akgün, die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann und der Politikwissenschaftler Claus Leggewie – greifen Begriffe wie „Ankommen“, „Religion“ und „Assimilation“ auf, die in öffentlichen Debatten über Migration immer wieder verwendet werden. Der Sammelband ist jedoch nicht nur eine Analyse von Begriffen und Wörtern, sondern auch der Versuch, eine neue Sprache für die vielfältige deutsche Gesellschaft zu finden.

Wer ist „Ausländer“?

Elisabeth Beck-Gernsheim, Senior Research Fellow am Research Center for Cosmopolitan Studies der Universität München, analysiert den Begriff „Ausländer“, dem eine Unterscheidung von „Wir“ und den „Anderen“ zugrunde liege. Durch Globalisierung und „zunehmende geographische Mobilität“ sei eine eindeutige Kategorisierung jedoch nicht mehr möglich. Es gebe mehr „Menschen, die transnationale Verbindungen, Zugehörigkeiten, Identitäten haben“, so Beck-Gernsheim.

Die Wissenschaftlerin beklagt, dass in die Kategorie „Ausländer“ unterschiedlichste Personengruppen zusammengefasst würden – egal ob in Deutschland oder einem anderen Land geboren. Die Konsequenz: Deutsche, die etwa durch ihre Hautfarbe „Normalitätserwartungen“ nicht entsprechen würden, würden von der deutschen Gesellschaft oft als „Nicht-Zugehörige“, „Fremde“ und „Ausländer“ angesehen.

„Wir sind Teil dieser Gesellschaft“

„Was sind wir eigentlich? Was wollen wir sein?“, fragen sich die ZEIT-Redakteurinnen Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu in ihrem starken und persönlichen Beitrag „Neue Deutsche“. Sie alle sind in Deutschland aufgewachsen, ihre Eltern kommen aus anderen Ländern. Selbstbewusst und stolz sind die Frauen. Und wütend. Darüber, dass Andere definieren, wer deutsch ist und zur Gesellschaft gehört. Die Frauen bezeichnen sich als „neue Deutsche“ und stellen klar: „Wir sind Teil der Gesellschaft. Wir sind anders. Also gehört die Andersartigkeit zu dieser deutschen Gesellschaft.“

Mit starken Beiträgen und lauten Stimmen setzt der Sammelband ein deutliches Ausrufezeichen. Die Beiträge sind vielfältig: wissenschaftlich, aber niemals trocken, literarisch oder sehr persönlich. Sie alle machen deutlich: Das „neue Deutschland“ braucht eine neue Sprache. Denn „der Kampf der neuen gegen die alte Welt vollzieht sich nicht zuletzt auf dem Feld der Sprache“, schreibt Marianna Salzmann in dem Buch.

Info: Özkan Ezli & Gisela Staupe (Hg.): „Das neue Deutschland. Von Migration und Vielfalt.“, Konstanz University Press,  Paderborn 2014, 259 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3862530328. Die gleichnamige Ausstellung ist im Deutschen Hygiene-Museum von 8. März bis 12. Oktober 2014 zu sehen.

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