„Das Milan-Protokoll“: Zwischen den Fronten im Irak
Real Fiction
Militärisch liegt der „Islamische Staat“ im Zweistromland am Boden, doch die Folgen seiner Schreckensherrschaft werden die Menschen noch lange beschäftigen. Immer wieder schafften es die Gräueltaten der fundamentalistischen Miliz, die weite Teile Iraks und Syriens handstreichartig zu erobern schien, während der vergangenen Jahre in die Nachrichten, doch selten formte sich ein größeres Bild. So blieb die komplizierte innen- wie außenpolitische Gemengelage, die die Invasion unter schwarzer Flagge erst möglich machte, weitgehend im Dunkeln.
Im Angesicht des Schreckens
Ordnung in dieses von außen betrachtet verworrene System aus Milizen, Stämmen sowie kurz- und mittelfristigen Interessen verschiedener Seiten will „Das Milan-Protokoll“ bringen. Daneben reicht der Ansatz von Regisseur und Drehbuchautor Peter Ott allerdings noch viel weiter. Er fragt sich: Wie offen ist eine Situation im Angesicht des Schreckens? Was bedeutet richtiges Handeln, um sich von diesem Schrecken zu befreien? Obendrein geht es darum, zu zeigen, inwiefern die jeweils eigene Erzählung das Agieren von Konfliktparteien beeinflusst.
Die Handlung setzt ein, als der IS im Irak noch in der Offensive ist. Im Mittelpunkt steht die Ärztin Martina Abramski (Catrin Striebeck). In den Flüchtlingscamps des Kurdengebiets versorgt sie Menschen, die der Terrormiliz mit knapper Not entkommen sind. Als Martina und ihre Begleiter eine verwundete Kämpferin der kurdischen Seite aus Syrien nach Irakisch-Kurdistan bringen will, wird sie entführt. Die Männer gehören zu einem sunnitischen Stamm, der mit dem IS paktiert und dessen Einmarsch in Mossul erst möglich gemacht hat. Allen Beteuerungen ihrer Gastgeber zum Trotz befindet sich Martina in tödlicher Gefahr. Die Kidnapper werfen ihr vor, Waffen für die verfeindeten Kurden ins Land geschmuggelt zu haben. Die deutsche Panzerabwehrrakete Milan ist unter allen Kriegsparteien der Region gefragt.
In der Gluthitze
Je mehr Martina über den Waffendeal auspacke, so wird ihr eingebläut, desto besser für sie. Doch die Ärztin weist alle Anschuldigungen von sich. So schmachtet sie in der Gluthitze eines schmuddeligen Landhauses vor sich hin. Was Martina nicht weiß: Die Stammeskämpfer und der einflussreiche Scheich wollen sich insgeheim vom IS lösen. Dessen militärischer Emir wiederum hat Wind von der Entführung einer „Ungläubigen“ bekommen. Gleichzeitig haben türkische und deutsche Geheimdienstler, die wiederum eigene Interessen verfolgen, ihre Finger im Spiel. Immer undurchsichtiger wird das Netz aus Interessen und Intrigen, das sich um Martina herum spinnt. Nach wochenlanger zermürbender Geiselhaft verliert sie fast die Hoffnung, jemals wieder in Freiheit zu kommen. Als sich die Situation weiter zuspitzt, entscheidet sie sich zu einem radikalen Schritt. Ob sie tot oder lebendig aus der Sache herauskommt, entscheiden aber andere.
Martinas Odyssee durch verschiedene Verstecke und die Unruhe, die ihre Entführung in Geheimdienstkreisen nach sich zieht, wird nicht linear erzählt. Vielmehr springt die Collage aus Befragungen durch einen BND-Mann und Szenen mit den Kidnappern zwischen den Zeitebenen hin und her. Manches erscheint traumartig, sodass sich der Zuschauer immer wieder fragt: Was ist wirklich passiert? So wird auch Martina immer undurchsichtiger. Kategorien wie Täter, Opfer, Gut oder Böse verschwimmen.
Überfrachtet
Oft hat man Catrin Striebeck in zwielichtigen TV-Krimi-Rollen erlebt, doch selten war sie so hinreißend wie in dieser Rolle einer ebenso demoralisierten wie durchtriebenen und kämpferischen Frau. Der Wechsel zwischen kammerspielartigen Innen- und dokumentarisch anmutenden Außenszenen – gedreht wurde im kurdischen Nordirak und in einem Kölner Studio – sorgt für Dynamik. Mitunter wirkt die Geschichte angesichts einer Perspektive, die vielerlei psychologische und politische Facetten in den Blick nimmt, ziemlich überfrachtet. Dass sie trotz vieler atmosphärischer Brüche bis zum Schluss spannend erzählt wird, ist umso respektabler.
„Das-Milan Protokoll“ (Deutschland 2017); ein Film von Peter Ott, mit Catrin Striebeck, Christoph Bach, Samy Abel Fattah, Bengin Ali u.a.; OmU, 100 Minuten; ab 18. Januar im Kino.