Seit Donnerstag steht Lothar König in Dresden vor Gericht. Der Jenaer Jugendpfarrer soll 2011 zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben. Wer ist König, der die Mitglieder des NSU bereits als Jugendliche kannte? Der Journalist Andreas Montag hat sich ihm angenähert.
Hat er oder hat er nicht? Diese Frage wird seit Donnerstag vor dem Amtsgericht Dresden verhandelt und hoffentlich geklärt. Es geht darum, ob Lothar König, Jugendpfarrer aus Jena, bei einer Demo gegen Neonazis in Dresden am 19. Februar 2011 zur Gewalt gegen Polizisten aufgerufen hat – oder eben nicht. Die Dresdner Staatsanwaltschaft jedenfalls wirft König vor, über seinen Lautsprecherwagen „Deckt die Bullen mit Steinen ein“ gerufen zu haben. Sie wertet das als schweren Landfriedensbruch, Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchte Strafvereitelung.
Hätten die Vorwürfe und die Durchsuchung von Königs Dienstwohnung den 59-Jährigen nicht schon bundesweit bekannt gemacht, würde er dies einer anderen Begebenheit ganz sicher verdanken. Lothar König nämlich kannte Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt schon lange bevor sie abtauchten, zehn Morde begangen und als „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ bekannt wurden. Als die drei in Jena lebten, suchten sie einige Male Königs Junge Gemeinde auf.
Wer ist Lothar König?
Wer aber ist dieser Lothar König, der sich schon in der DDR gegen das Unrecht stellte und Jahre früher als andere darauf hinwies, dass Jena „ein Neonazi-Problem“ habe? „Er fällt auf, weil er der Konfrontation nicht aus dem Wege geht, wenn er das für notwendig hält“, schreibt Andreas Montag über König. In seinem 160 Seiten starken Porträt nähert sich der Journalist dem Pfarrer an, charakterisiert ihn als „rebellische Seele“.
Diese scheint sich schon früh ihren Weg gebahnt zu haben. 1954 als Sohn einer Bauernfamilie in Nordhausen geboren, wuchs Lothar König im Südharz auf und wurde „wegen politischer Verfehlungen“ nicht zum Abitur zugelassen. Er hatte im Alter von 15 Jahren den Namen des in Ungnade gefallenen tschechoslowakischen Parteiführers Alexander Dubček an eine Hauswand geschrieben.
Nach einer Lehre zum Zerspanungsfacharbeiter fand König über Umwege zum evangelischen Theologiestudium und bekam 1986 seine erste Pfarrstelle in Merseburg. Hier begehrte er gegen das DDR-Regime auf – es war die Zeit der Montagsdemonstrationen – und bekam „prompt den Druck der Staatsmacht zu spüren“: Königs Wohnung wurde verwanzt, seine Stasi-Akte wuchs Woche für Woche.
Frühe Fragen nach der Rolle des Verfassungsschutzes
Er fühle sich mittlerweile an diese Zeit erinnert, schreibt Montag über König, wenn es um die Ereignisse nach dem 19. Februar 2011 geht. Es mögen Erinnerungen wie diese sein, die den Geistlichen schon früh nach der Rolle des Verfassungsschutzes im Fall des NSU fragen ließen und ihm weiteren Ärger einhandelten. So wurde König von der Menge ausgebuht als er bei einem Popkonzert gegen Fremdenfeindlichkeit Ende 2011 zu bedenken gab, dass es nicht helfe, Sündenböcke zu suchen und es extremistische Mittäter geben könnte.
„Er ist eben der Außenseiter aus Sicht der verunsicherten Mehrheitsgesellschaft. Das Kamel, das das schüttere Gras von den Gräbern frisst“, schreibt Andreas Montag in seinem Porträt. Er stellt einen Mann vor, der zwar selbstbewusst nach außen auftritt – nicht zuletzt sein Glaube hilft ihm dabei – und doch verunsichert ist, was kommen wird. Das gelingt dem Journalisten über weite Strecken recht gut. Man merkt dem Buch die vielen Gespräche an, die Montag und König miteinander geführt haben. Und auch wenn Montags Stil manchmal holprig und die Formulierungen etwas altväterlich daher kommen, entschädigen neue Einsichten dafür.
Die Frage nach der Mitschuld
Etwa die, dass Lothar König von einem Verbot der NPD nicht hält („Weil man ja weder die Menschen noch ihre Gedanken verbieten kann.“) und wie er begründet, warum rechtes Gedankengut im Osten der Republik meist unwidersprochen bleibt („Das politisch motivierte, auf die Festigung der SED-Macht gerichtete Abwürgen einer Geschichtsdebatte war ein Teil des Kalten Krieges, der sich auf diese Weise bis zur Gleichgültigkeit gegenüber Neonazis (oder deren stillschweigender Duldung) fortgeschrieben hat.“).
Wer ist dieser Lothar König, der seit heute vor Gericht steht? Nach 160 Seiten weiß man zumindest einiges mehr als in Zeitungen über den „Marx mit Rauschebart biblischen Ausmaßes“ berichtet wird. Und auch wenn Montags Buch den NSU nahezu vollständig ausblendet, erfährt man durch die Hintertür auch einiges über Königs Einstellung zu den Taten des Terrortrios – und dem Umgang der Öffentlichkeit damit. „Er fragt nach der Mitschuld, statt mit Fingern auf die Schuldigen zu zeigen.“ Es bleibt abzuwarten, wie das Dresdner Landgericht mit solch einer Haltung umgeht.
Andreas Montag: Lothar König. Eine rebellische Seele, Kreuz-Verlag 2013, ISBN 978-3-451-61156-8, 14,99 Euro
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.