Kultur

„Das ist meine Sprache, nicht die Sprache der Täter“

von Birgit Güll · 16. Oktober 2008
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Ihre Auschwitz-Tätowierung ließ Ruth Klüger entfernen. Sie wollte nicht länger auf diese Nummer starren, die sie als eine Art mystische Verbindung mit den Toten, als eine Verpflichtung beschreibt. In ihrem Buch "Weiter leben" erinnerte Ruth Klüger an die Ermordeten. Danach war sie bereit, die Häftlingsnummer an ihrem Unterarm entfernen zu lassen. - Eine ambivalente Erfahrung, denn mit diesem Akt sei etwas gewonnen, aber auch etwas verloren gegangen.

Die Rückeroberung der Sprache

Von der Rückeroberung der deutschen Sprache erzählte Ruth Klüger im Gespräch am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse. Die gebürtige Wienerin, die in den USA lebt, sprach ihre Muttersprache jahrelang nicht, brachte sie auch ihren Kindern nicht bei. Nur gelesen habe sie immer auf Deutsch. Zutiefst verunsichert begann sie im Alter von 30 Jahren ein Germanistikstudium, wurde zur begeisterten Literaturwisschaftlerin und machte in den Vereinigten Staaten Karriere.

"Das ist meine Sprache, nicht die Sprache der Täter", sagt Ruth Klüger heute. Von jenen, die ihr so viel genommen hatten, wollte sie sich nicht auch noch ihrer Muttersprache berauben lassen. Deshalb holte sie sich auch ihre österreichische Staatsbürgerschaft zurück.

Bis heute lebt Ruth Klüger allerdings in den USA. In Deutschland komme sie schlecht zurecht, in Österreich noch viel weniger. Irrationale "kindliche und kindische Erinnerungen" überfielen sie an diesen Orten, erläutert die Autorin. "Einmal ging ich unterwegs verloren, einmal kam ich an, wo ich nicht war", zitiert Klüger die Schriftstellerin Herta Müller. Diesem Satz, der so treffend die Unsicherheit in Lebenshaltung und Standort ausdrücke, habe sie den Buchtitel entlehnt: "unterwegs verloren".


Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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