Kultur

Das Glück in glücksfernen Zeiten

von Brigitte Preissler · 30. März 2009
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Gerhard Warlich ist die wohl müdeste aller Genazino-Figuren - weder Herr Abschaffel aus der nach ihm benannten Trilogie, noch Dieter Rotmund aus "Mittelmäßiges Heimweh", noch sonst irgendeiner der schwermütigen Angestellten und sanften Apokalyptiker aus den Werken des Büchner- und Kleistpreisträgers Genazino war je so untauglich für das so genannte "pralle Leben" wie dieser gescheiterte Heideggerianer.

Ein schönes, passendes Symbol für sein bildungsbefrachtetes Dasein findet Genazino im Bild der geflügelten Ameisen, deren Anblick Warlich tröstet: An ihren zu langen Flügeln haben sie ebenso schwer zu tragen wie der Wäschereichef an seiner nutzlosen Feinnervigkeit. Doch siehe da: "Sie schleppen ihre unnützen Flügel durch die Gegend und klagen nicht!"

Dieses Talent zum Glücklichsein bleibt Warlich leider versagt. Sein Traum, eine philosophische "Schule der Besänftigung" zu gründen und dort Vorlesungen über den "Aufbau des Glücks in glücksfernen Umgebungen" zu halten, zerschlägt sich; und als Traudel dann auch noch mit Kinder- und Heiratswunsch ankommt, fühlt er sich regelrecht "niedergeliebt".

So endet die Geschichte dieses mimosenhaften Glücksuchers tragisch. Doch im Kontrast zwischen seinen hehren Sehnsüchten und den profanen Anforderungen seines Angestellten- und Liebhaberdaseins blitzt immer wieder Genazinos ungeheuer pointierter Sprachwitz auf. Warlichs Lebensdilemma lässt er in dessen berechtigter Forderung gipfeln: "Jeder Mensch sollte das Recht haben, sich in der zweiten Hälfte des Tages von der ersten zu erholen." So beobachtungssicher und niederschmetternd heiter hat Genazino die Unmöglichkeit von Glück nur selten beschrieben.

Wilhelm Genazino, Das Glück in glücksfernen Zeiten, Carl Hanser Verlag, München2009,
160 Seiten, 17,90 Euro, ISBN 978-3-446-23265-5

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