Geld löst keine Probleme, sagt der Filmemacher Kim Ki Duk. Im Gegenteil: Es lasse die Menschen leiden. Welche grausamen und absurden Ausmaße dieses Leid nehmen kann, zeigt er in dem schonungslosen Drama „Pieta“. Und nicht nur das.
Ziemlich eintönig, dieses Dasein als Geldeintreiber: Das Smartphone summt, Kang Do schmiegt sich in die Kissen und beginnt den Tag mit ausgiebiger Selbstbefriedigung. Bis zum Abend zieht er durch die engen Gassen eines heruntergekommenen Handwerkerviertels von Seoul und bricht ein paar säumigen Schuldnern die Knochen. Oder vergewaltigt dessen Frauen. Am Ende des Tages schlachtet er sich in seiner Dusche ein Huhn.
Provozierende, gleichnisartige Dramen zwischen Aggression, Vergebung und Sexualtrieb haben den koreanischen Regisseur Kim Ki Duk weltberühmt gemacht. In „Samaritan Girl“ erzählte er von einer minderjährigen Prostituierten, die sich unentgeltlich ihren ehemaligen Kunden hingibt. Jahrelang standen Kims Filme, die im psychologischen Urschleim moderner Gesellschaften wühlen, in seiner Heimat auf der Roten Liste. Auch „Pieta“ ist in diesem Sinne drastisch und subtil zugleich. Dieser gelungene Spagat war der Jury der Filmfestspiele von Venedig, wo der Film seine Weltpremiere feierte, ein Silberner Löwe wert.
Obendrein verzerrt dieses Drama eines der klassischen Motive christlicher Ikonografie: Die trauernde Mutter Gottes, deren Arme den geliebten Sohn umfangen. Doch wie kann man jemanden lieben, der einen verschuldeten Handwerker mit dessen Stanzmaschine zum Krüppel foltert, um seine Unfallversicherung zu kassieren? Der schamlos die Notlage jener Gesellschaftsschicht ausbeutet, die einst Südkoreas Wohlstand begründete und heutzutage Immobilienspekulanten weichen soll? Dessen leerer, aber fester Blick seine innere Verwahrlosung unterstreicht?
Vergebung und Inzest
Die Frau, die eines Tages in Kang Dos Leben tritt und sich als seine Mutter ausgibt, weiß um all die Missetaten. Stattdessen bittet sie ihn um Vergebung: nämlich dafür, ihn als Kind verlassen und damit seinen Mangel an Zuwendung verschuldet zu haben. Das will sie nun wettmachen, indem sie ihn im wahrsten Sinne des Wortes bemuttert. Und, siehe da: Irgendwann hört Kang Do auf, sich gegen die Annäherung zu wehren. Nach einem glimpflich abgewehrten Inzestversuch werden wir Zeuge eines weiteren klassischen Drama-Motivs: der Katharsis. Kang Do beschließt, ein besserer Mensch zu werden. Seinen Job schmeißt er hin. Nun verstümmelt sich manch ein Schlosser selbst, verspricht das Geld von der Versicherung doch ein bisschen Wohlstand für die Familie. Doch plötzlich verschwindet die merkwürdige Alte. Hat sie ein früheres Misshandlungsopfer entführt?
Nun beginnt die eigentliche Geschichte. Zug um Zug entblättert sich des Rätsels Lösung: „Pieta“ kreist weniger um den entbehrungsreichen Weg zur Vergebung als um die Frage, wie man einen Menschen dazu bringt, Reue zu empfinden, wenn ihm Kategorien wie Schuld oder Mitleid völlig fremd sind. Und wie man sich an ihm rächt. Kim strickt daraus eine Fabel mit einer perfiden Pointe – grauenvoll und anrührend zugleich. Dem Zuschauer wird dabei einige Ausdauer abverlangt, die allerdings mit einem ebenso überraschenden Opfergang entschädigt wird.
Womit wir wieder bei den immer gültigen Urtrieben und tragischen Wendungen des menschlichen Dasein sind, die auch keine noch so turbokapitalistische, angeblich auf Vernunft gegründete Gesellschaft ausmerzen kann. Ob im wachstumshungrigen Südkorea oder sonstwo.
Im Gegenteil: Der von Immobilienhaien angetriebene Verdrängungsprozess in Seoul bietet den idealen Boden, um von der Natur des Menschen zu erzählen. Schließlich ist die Welt, die er sich baut, nicht vom Himmel gefallen.
Die Bagger warten schon
Doch „Pieta“ ist weniger Anklage als Dokument: Der ausgiebige Blick auf das Garagen-Labyrinth von Cheonggyecheon zeigt ein bedrohtes, wenn auch quirliges Relikt vergangener Zeiten in all seinen Schattierungen zwischen pittoresk und kaputt. Haus und Mensch, so scheint es in diesen unaufgeregt-intensiven Bildern, spiegeln einander wider. Hinter den schmuddeligen Dächern lugen die Wolkenratzer hervor. Die Kräne und Bagger warten. Dennoch lassen sich die Bewohner nicht ihrer Zuversicht berauben. Sei es auch als Krüppel.
Von eben dieser ungerührten Intensität – man könnte es Realismus nennen – leben auch jene Szenen, in denen die Figuren dieses Films dermaßen zum Äußersten getrieben werden, dass sich der Zuschauer abwenden möchte. Mit schlichter, aber durchdringender Ästhetik rüttelt „Pieta“ an den Grundfesten des Bildes des Menschen von sich selbst und legt seine Abgründe offen : Mehr kann ein Film nicht leisten.
Info: Pieta (Südkorea 2012), ein Film von Kim Ki Duk, mit Lee Jeong Jin, Cho Min Soo u.a., OmU, 104 Minuten. Ab sofort im Kino