Kultur

"Damit wir es nicht vergessen"

von Birgit Güll · 7. Februar 2014

Regisseur Pepe Danquart spricht über seinen Film "Lauf Junge lauf", die wahre Geschichte eines Kindes, das alleine den Holocaust überlebt. Die deutsche Vorpremiere des Films findet am kommenden Montag beim SPD-Filmabend zur Berlinale im Willy-Brandt-Haus statt.

vorwärts.de: Pepe Danquart, Ihr neuer Film „Lauf Junge lauf“ erzählt von einem 8-jährigen jüdischen Jungen, der aus dem Warschauer Ghetto flieht und sich alleine bis Kriegsende durchschlägt. Es ist die wahre Geschichte von Yoram Fridman. Der jüdische Schriftsteller Uri Orlev, auch ein Überlebender, hat sie aufgeschrieben. Auf seinem Buch basiert Ihr Film. Wie wagt man sich als deutscher Regisseur an so ein Projekt?

Pepe Danquart:
Gerade als Deutscher, finde ich. Aber die Situation war schon eine besondere. Meine erste Frage an Yoram Fridman war, wie er damit umgeht, dass ein Deutscher seine Geschichte verfilmt. Er sagte, für ihn sei es eine späte Genugtuung. Gerade die, die ihm soviel Leid zugetragen haben, machen einen Film darüber. Orlevs Buch war bewegend für mich: die Geschichte eines kleinen Jungen, so viel Leid und gleichzeitig so viel Kraft zum Leben. Der Film ist eine Huckleberry-Finn-Geschichte mitten im Holocaust. Sie ist konsequent aus den Augen eines 8-jährigen Jungen erzählt, der vier Jahre lang trotz Kälte, Krankheiten und Einsamkeit überleben konnte. Es ist eine Abenteuergeschichte, die vielleicht mehr über den Holocaust erzählt, als wenn ich direkt die Schuldfrage stelle. Ich denke, dass diese Erzählform gerade junge Menschen erreichen könnte. Damit die Nachkriegsgeneration sich erinnern kann ohne Schuld, aber die Sache nicht vergisst.

Der jüdische Junge ist auf seiner Flucht auch mit dem Antisemitismus der Polen konfrontiert. Der Film feierte in Polen Weltpremiere. Hatten Sie Angst vor der Reaktion?

Klar. Aber die Tatsache, dass es heute möglich ist, als deutscher Regisseur einen Film über eine jüdische Geschichte im Holocaust zu machen, sie zu fast 80 Prozent auf Polnisch zu drehen, ist ein Ausdruck des zusammengewachsenen Europas. Das Warschauer Museum der polnischen Juden, in dem der Film seine Weltpremiere hatte, liegt auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos, gegenüber vom Mahnmahl wo Brandt seinen Kniefall machte. Das war vielleicht der Ort überhaupt den Film vorzustellen.

Wird der Film in Polen gut aufgenommen?

Ja. Nach dem Krieg wurden die Polen immer nur als Helden dargestellt. Erst heute wird über den Antisemitismus gesprochen. Dass dieser Film nicht schwarz und weiß malt, war mir sehr wichtig. Das Gute und das Böse ist in jedem Menschen vorhanden. Die Frage ist, wann es zum Vorschein kommt. In dem Film gibt es Polen, die ihr Leben und ihren Besitz riskieren, um dem Jungen zu helfen und andere, die ihn für eine Flasche Wodka an die Nazis verkaufen. Wie Yoram Fridman bei der Premiere in Polen sagte: „Genau so war es. Genau so hab ich es erlebt.“

Die Hauptfigur spielen die polnischen Zwillinge Andrzej und Kamil Tkacz. Wie haben Sie die beiden gefunden?

Ich habe 700 Kinder gecastet, weil mir klar war, dass diese Rolle, dieser Junge in fast jeder Einstellung vorkommt. Dann hab ich Andrzej Tkacz gefunden und es stellte sich heraus, dass er einen Zwillingsbruder hat. Man darf mit Kindern in dem Alter nur fünf Stunden drehen, mit beiden schafft man die üblichen 10-Stunden-Drehtage. Ich habe selbst einen eineiigen Zwillingsbruder. Das sind zwei unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen charakterlichen Ausprägungen. Bei den Tkacz-Brüdern gibt es den introvertierten, sensiblen und den extrovertierten, dominanten Jungen. Das ist ein Geschenk für jeden Regisseur. Kinder spielen am besten aus sich selbst heraus und die beiden unterschiedlichen Jungs zu einer Figur zusammenzubringen war großartig. Es ist phantastisch was die beiden da hingelegt haben. Eine ungeheure Leistung.

Am Ende Ihres Films sieht man den realen, den 80-jährigen Yoram Fridman mit seiner Familie. Warum wollten Sie das zeigen?

Es ist nicht nur der Beleg, dass der Film auf einer wahren Geschichte basiert. Es zeigt auch, dass er nur ein Ausschnitt aus Fridmans Lebensgeschichte ist. Heute hat er eine Ehefrau, Kinder, Enkel. Das macht den Gang aus dem Kino leichter. Der Film erzählt mehr vom Leben als vom Tod. Deshalb ist das Ende wichtig.

Sie haben Yoram Fridman auch in Israel besucht...

Ja. Es gab eine Menge Leute, die sich um die Filmrechte bemühten. Yoram Fridman hat sich ausbedungen, dass er Filme von ihnen sehen will. Er hat „Nach Saison“ gesehen – meinen Film über den Bosnienkrieg – und sich für mich entschieden. Auch weil er sagt, die Amerikaner würden mehr Kitsch daraus machen, das wolle er nicht.

Ihr Film „Lauf, Junge, Lauf“ hat am 17. April Kinostart in Deutschland. Die Vorpremiere läuft am 10. Februar im Berliner Willy-Brandt-Haus. Was bedeutet Ihnen dieser Ort?

Es ist ein Ritterschlag, neben der Statue von Willy Brandt den Film zu zeigen. Es ist auch Ausdruck der Wahrnehmung der politischen Dimension, die der Film neben seiner erzählerischen Qualität hat. Das Willy-Brandt-Haus ist auch ein Ort wo ich mich – obwohl ich kein Genosse bin – politisch zu Hause fühle und Freundschaften pflege.

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare