Kultur

„Congo Calling“: Entwicklungshelfer im Clinch mit der Realität

Was bleibt nach Jahren in einer Elendsregion vom Idealismus? Der Dokumentarfilm „Congo Calling“ begleitet Entwicklungshelfer in Afrika. Es wird schnell klar: Jeder Aufbruch, und sei er noch so kleinteilig, ist von Rückschlägen bedroht. Mitunter droht Lebensgefahr.
von ohne Autor · 23. August 2019
Zwischen Fremdeln und Heimatgefühl: ein deutscher Entwicklungshelfer in Goma.
Zwischen Fremdeln und Heimatgefühl: ein deutscher Entwicklungshelfer in Goma.

Manchmal gibt es auch gute Nachrichten aus dem Kongo. Vor vier Jahren weihte der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier die neue Start- und Landebahn am Flughafen Goma ein. Jahre zuvor war sie von Lava verschüttet worden. Von der Zeremonie sollte ein Zeichen der Hoffnung für eines der ärmsten und gefährlichsten Länder der Welt ausgehen.

Niemand kann den Problemen davonfliegen

Im gleichen Jahr startete der Dokumentarfilmer Stephan Hilpert seine Dreharbeiten zu „Congo Calling“. Die ramponierten Becken des Polizeiorchesters, das zur Feier des Tages  aufspielt, versinnbildlichen das Fragile und Kulissenhafte dieser Situation. Als könnten die Menschen der Zweimillionen-Stadt im Osten des Landes den Problemen einfach davonfliegen! Die zugedröhnten Jugendlichen im nächtlichen Chaos von Goma bieten in der darauffolgenden Szene einen denkbar starken Kontrast.

Hunderte westliche Entwicklungshelfer sind in der Krisenregion tätig, um Infrastrukturvorhaben anzuschieben oder Feldforschung zu betreiben. Eines wird schnell klar: Jeder Aufbruch, und sei er noch so kleinteilig, ist von Rückschlägen bedroht. Sei es, weil schlecht ausgebildete Polizisten durchdrehen oder einheimische Mitarbeiter ein Entwicklungsprojekt, man muss es so offen sagen, als Selbstbedienungsladen betrachten.

Fehlende Erfolge sind schwer auszuhalten

Was macht es mit diesen Menschen, wenn sie ihr bisheriges Leben aufgeben, um sich mit voller Energie in die Bekämpfung einer unfassbaren Armut zu stürzen, zumal angesichts allgegenwärtiger Korruption und unberechenbarer Milizen? Wie lässt sich all das aushalten, wenn greifbare Erfolge ausbleiben? Wie verändert sich die Einstellung gegenüber Land und Leuten? Wie entwickelt man hier Perspektiven für sein Leben, möglicherweise über den gegenwärtigen Job hinaus? Und wie schafft man es, von denen, die man unterstützen soll, sich selbst zu helfen, akzeptiert zu werden?

Hilpert hat sich in seiner über mehrere Jahre fortgeführten Dokumentation eines weithin unterbelichteten Bereichs der Entwicklungshilfe angenommen. Im Mittelpunkt stehen drei Menschen, deren persönliche Situation auf den ersten Blick wenig mit jener der anderen zu tun hat. Und doch ergeben sich gemeinsame Muster. Einst waren die Europäer mit großem Enthusiasmus nach Zentralafrika gekommen. Jetzt bewegen sie sich in einem Spannungsfeld zwischen Engagement, Fremdheitserfahrung und Machtlosigkeit. Mit anderen Worten: Sie sind in der Realität angekommen. Mit Idealismus allein lässt sich hier kaum etwas erreichen.

Lebensgefahr und ein Interview mit Rebellen

Raul, ein spanisch-französischer Sozialforscher, bereist das Land immer wieder, um zu untersuchen, wie sich die Herrschaft der Rebellen auf das Dorfleben in Gomas Umgebung auswirkt. Dafür riskiert er immer wieder sein Leben. Beim Vorortgespräch lässt er sich von einem Kommandeur erklären, wie seine Marodeure mit unliebsamen Bauern umgehen. Doch weil einer von Rauls Mitarbeitern Geld veruntreut hat, ist die seine ganze Studie in Gefahr.

Anne-Laure hat ihre Stelle als Entwicklungshelferin längst aufgeben. Stattdessen arbeitet die Belgierin nun für ein Musikfestival, das sich Friedensbotschaften auf die Fahnen schreibt und Regimegegnern Raum gibt. Gemeinsam mit ihrem kongolesischen Freund kämpft sie für die Demokratie. Doch beide sehen sich immer wieder mit der Gewalt und Willkür des herrschenden Apparates konfrontiert.

Wenn Helfer selbst Hilfe brauchen

Der 66-jährige Peter hätte diese Welt aus Sicht seines Arbeitgebers längst verlassen müssen. Stattdessen ist der deutsche Entwicklungshelfer, der noch immer mit revoluzzerhaftem Eifer kokettiert, mit Erreichen des Rentenalters in Goma hängengeblieben, allerdings nunmehr als Arbeitsloser. Für ihn geht es vor allem darum, nicht aus seinem Haus geworfen zu werden. Der ehemalige Helfer braucht nun selbst Hilfe. Einen Neuanfang in der Bundesrepublik hält er nach mehr als 30 Jahren im Kongo für undenkbar. Doch auch in diesem Fall, so zeigt sich nach einem Zeitsprung von mehr als einem Jahr, ist längst nicht alles vorgezeichnet.

Hilperts als Abschlussarbeit an der Hochschule für Fernsehen und Film München entstandener und vom ZDF koproduzierte Film, der nur wenige inszeniert anmutende Momente bietet, macht es dem Zuschauer nicht leicht. Nach und nach erschließen sich die Zusammenhänge, in denen sich die Hauptfiguren bewegen. Ebenso schichtweise offenbaren sich die Art und Weise, wie diese Menschen ihren Alltag erleben und welche inneren Kämpfe und Zweifel sie plagen. Diese Puzzleteile ergeben weder ein Gesamtbild zum Thema Entwicklungshilfe noch zeigen sie auf, wie letztere besser organisiert werden könnte. In diesem Fall genügt es, die richtigen Fragen zu stellen.

Congo Calling (D 2019), ein Film von Stephan Hilpert, 90 Minuten

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