Kultur

Christian Schwochow über „Je Suis Karl“: „Ich will eine Wachsamkeit.“

Moderne Nazis, ein charismatischer Anführer und der Traum vom Umsturz: Mit „Je Suis Karl“ bringt Christian Schwochow vor der Bundestagswahl den hippen Rassismus ins Kino. Hinter der Fiktion steckt eine reale Angst, erklärt der Regissuer im Gespräch.
von Benedikt Dittrich · 2. September 2021
Regisseur Christian Schwochow: „Natürlich sind Menschen verführbar.“
Regisseur Christian Schwochow: „Natürlich sind Menschen verführbar.“

Christian Schwochow, am 16. September kommt „Je Suis Karl“ in die Kinos. Welche Reaktionen, Gedanken soll der Film bei den Besucher*innen auslösen?

Ich hoffe dass das Publikum einen spannenden, emotionalen Film sieht, der dazu anregt, sich Fragen zu stellen. Wie gefestigt bin ich? Gibt es radikale Positionen, die ich teile, über die ich bisher nicht nachgedacht habe? Wenn ich einer charismatischen Führungsperson wie Karl begegnen würde, wäre ich manipulierbar?

Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit Rechten und rechten Strukturen und habe mich schon lange gefragt: Was passiert eigentlich, wenn bei den Rechten mal jemand mit Charisma wie Barack Obama auftaucht? Oder wie Greta Thunberg, wenn man an die ganz junge Generation denkt? Wie empfänglich sind wir als Gesellschaft? Die Beantwortung dieser Frage macht mir Angst. Es gibt in Deutschland zwar kaum charismatische Führungspersönlichkeiten, aber eine sehr große Sehnsucht danach.

Aber das Schicksal, das die Protagonistin Maxi als junge Erwachsene ereilt, trifft ja nicht jeden.

Nein, die wenigsten!

Maxi verliert bei einem Bombenanschlag in Berlin ihre Mutter und ihre Brüder und wird in dieser Situation von Karl, dem Anführer einer europäischen rechten Bewegung, beeinflusst, umgarnt. Da könnte ich als Zuschauer*in auch denken: „In so einer Situation bin ich nicht, das kann mir nicht passieren.“

Damit bin ich auch einverstanden. Aber: Ich lebe selber in Berlin-Friedrichshain, wo auch der Film spielt. Und ich mache die Erfahrung, dass selbst Freunde und Bekannte, die an ähnlich bunten, vielfältigen Orten leben, sich bisweilen sehr konservativ bis rassistisch äußern.

Ich möchte niemanden erziehen, Ich will auch niemanden vorführen. Aber ich möchte eine Wachsamkeit. Als Publikum verzeihe ich Maxi vielleicht noch, aber ich würde gerne, dass man aus dem Kino rausgeht und sich fragt: wo begegnet mir das, wo bin ich, wo sind Menschen verführbar?

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Wir müssen mit allen reden, die rassistische oder diskriminierende Dinge verbreiten. Bestimmte Extremisten sind schwer zu erreichen, aber es gibt einen Großteil in der Gesellschaft, den man als Mitte bezeichnen würde. Wo sich aber auch etwas verschoben hat. Mit denen müssen wir reden.

Meine Hoffnung ist, dass der Film das Bewusstsein dafür schärft, dass Rechte immer unterschätzt wurden und auch heute noch unterschätzt werden. Dass sie sich weiterentwickelt haben, dass sie viel schlauer sind, als wir annehmen.

Heißt das im Umkehrschluss: Darüber wird zu wenig gesprochen?

Ja, wird es. Ich glaube, dass Journalismus bei der Betrachtung der Rechten an Grenzen stößt.

Zum Beispiel?

Man muss sich glaube ich damit auseinandersetzen, was Menschen fasziniert bei den Rechten. Es reicht nicht, zu sagen: es ist falsch, es stimmt nicht, sie sind lächerlich. Weil man glaubt, dass die Rechten und ihre Ideen unterkomplex sind, nähert man sich ihnen oft unterkomplex.

Deswegen zeige ich die Rechten mit einer starken Sexiness, weil es das gibt. Mir fehlt die Auseinandersetzung mit der Frage: Warum wählen Menschen rechts, warum glauben Menschen, dass das, was sie dort wählen, nicht radikal ist?

Es gab in den Neunzigern lupenreinen Rassismus von konservativen Parteien, mit Roland Koch in Hessen zum Beispiel oder dem CDU-Slogan „Kinder statt Inder“. Und heute fragen wir uns, warum die AfD Menschen einsammeln kann. Die Fragen nach den Gründen und den Ursachen sind komplex und anstrengend zu beantworten. Aber wir müssen uns damit auseinandersetzen.

Und ich hoffe, dass der Film dazu seinen Beitrag leistet – aber nicht als Aufklärungsstück sondern als unterhaltsamer Film. Wir schicken die Leute auf einen Trip. Es gibt auch immer wieder die Hoffnung, dass es am Ende gut ausgeht.

Aber es geht nicht gut aus. Es geht mit Nazis nie gut aus.

War die Filmtrilogie „Mitten in Deutschland: NSU“, bei der sie einer der Regisseure waren, eher ein solches Aufklärungsstück?

Aufklärerisch weiß ich nicht, aber sperriger. Beate Zschäpe ist als Protagonistin auch keine schillernde Person. Sie hat mich als Person sehr fasziniert, aber letztlich spielt der Film „Die Täter“ im Jena der frühen neunziger Jahre. Da war vieles grau und hässlich, es gab wenig Schönes, wenig Poetisches zu finden. Der Film ist dokumentarisch, bleibt aber ein Spielfilm, in dem wir Leerstellen gefüllt und die Erzählung verdichtet haben.

„Je suis Karl“ ist andersherum viel fiktiver und spekulativer, auch wenn er auf viel realer Recherche basiert.

Je suis Karl“ erscheint wenige Tage vor der Bundestagswahl – wird er auf die Wahl noch Einfluss haben?

Ob ein Film tatsächlich das Wahlverhalten beeinflussen kann, das weiß ich nicht. Wenn er irgendwie einen Beitrag dazu leisten kann, dass sich jemand genau überlegt, wie weit rechts oder in eine andere Richtung er oder sie sein Kreuz macht, dann habe ich etwas geschafft.

Das war auch eine schöne Erfahrung aus den NSU-Filmen: Ich habe damals viel Post von jungen Menschen bekommen, die mir erzählt haben, dass dieser Film sie links politisiert hat. Wenn mir mit diesem Film etwas ähnliches gelingt, dann ist das ein Erfolg.

Es gibt, auch dank „Fridays for Future“, eine neue Wahrnehmung in der jungen Generation dafür, wie schief die Dinge in der Welt laufen. Ich glaube, dass diese Generation sich den Rechten, auch wenn sie heute hip und modern auftreten, anders entgegen stellt. Dafür liefert der Film vielleicht Munition.

Aber wenn die Jugend heute politisierter ist als früher, besteht doch genauso die Gefahr, dass sie von den Rechten vereinnahmt wird?

Ich glaube, dass politisierte Jugendliche, die sich intensiv mit etwas auseinandersetzen, für Rassismus weniger empfänglich sind.

Aber natürlich sind Menschen verführbar. Und ich bin verzweifelt darüber, dass die Linken nicht mit einer Stimme sprechen, dass wir Linken in Europa den Rechten so wenig entgegensetzen. Ich will nicht sagen, dass alle verstummt sind, aber es ist teilweise schon ganz schön still.

Deswegen habe ich „Je suis Karl“ so laut gemacht, deswegen bin ich damit in den Mainstream gegangen. Ich glaube, es kann nur so gehen.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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