Kultur

Chinesischer Traum von Mecklenburg

Die Nachricht war eine Sensation: Auf einem früheren Militärflughafen in Mecklenburg-Vorpommern entsteht eine Drehscheibe für den internationalen Luftfrachtverkehr. Der Dokumentarfilm „Parchim International“ zeigt, was aus der Vision des chinesischen Investors geworden ist.
von ohne Autor · 6. Mai 2016

Politik, Verwaltung und Bevölkerung jubilierten, als das Geschäft vor neun Jahren unter Dach und Fach war. Endlich sollte es aufwärts gehen in der von Arbeitslosigkeit und Abwanderung geprägten Region rund um das Städtchen Parchim. Von bis zu 10.000 neuen Jobs war die Rede. Ein Welthandelszentrum und eine ganze Stadt mit Luxushotels, Restaurants und allem anderen, was eine künstliche Wohlfühlwelt braucht, soll den Airport ergänzen, versprach der neue Besitzer Jonathan Pang. Sein Traum: Eines Tages entsteigen Tausende Besucher aus Fernost in Parchim Chartermaschinen und lassen dort ihr Geld. Ein neues Dubai in Mecklenburg? Jahre später ist die Vision größtenteils Vision geblieben. Doch ist sie damit auch gescheitert? Und was ist aus den Menschen und ihren Hoffnungen geworden?

Den Filmemachern Stefan Eberlein und Manuel Fenn ist mit ihrer Dokumentation etwas gelungen, was man im Zusammenhang mit chinesischen Investoren selten erlebt. Diese umgeben sich gemeinhin mit einer Mauer des Schweigens. In der Regel lassen sich die milliardenschweren Unternehmen, die dazu beitragen, die Rolle Chinas als globale Wirtschaftsmacht auszubauen, nicht in die Karten schauen. In „Parchim International“ kommen wir Jonathan Pang hingegen ziemlich nahe. Warum investiert er ausgerechnet für einen vergessenen Flughafen in der tiefsten ostdeutschen Provinz 30 Millionen Euro? In einem Landstrich, der so gar nichts mit seiner gigantomanischen und brodelnden Heimatstadt Peking zu tun hat? Und ebenso wenig mit der globalisierten und vernetzten Welt der Wirtschaft, die der Geschäftsmann jahraus jahrein bereist?

Ein Marathon-Mann

Pang würde antworten: warum nicht? Der Boss der LinkGlobal Logistics Co. Ltd glaubt eben an den Erfolg seiner Ideen. So hat er es immer gehalten. So hat er sich nach oben gearbeitet. Nicht selbstverständlich für einen, der aus einem bitterarmen Dorf in Zentralchina stammt. Eberlein und Fenn begleiten ihn bei Begegnungen mit seiner Familie und mit Geschäftspartnern im Reich der Mitte und liefern subtile Einblicke in eine komplexe Persönlichkeit. Langstreckenläufer wäre dafür eine treffende Umschreibung, und zwar im mehrfachen Sinne.

„Parchim International“ greift diesen Aspekt immer wieder auf. Auch die Arbeiten an der Dokumentation entwickelten sich zum Marathon, zwischendurch gar zur Durststrecke. Zwischen 2007 und 2015 haben sie Pang immer wieder vor die Kamera geholt und auch das Leben innerhalb der unendliche Leere des Zaunes des Flughafens Schwerin-Parchim (so der offizielle Name) festgehalten. Es hat etwas Tragikomisches, wenn man sieht, wie das Bodenpersonal die Zeit totschlägt, weil kaum ein Frachtflugzeug nach China startet oder von dort kommt – insbesondere im Kontrast zu Pangs wahnwitzig anmutenden Plänen. Symbolort des Stillstandes (aus deutscher Sicht) oder des langsamen, aber stetigen Wandels (Pangs Auffassung) ist der provisorische Tower des Airports: ein klappriger Container auf Stelzen. Als mit großem Tamtam der neue Tower übergeben wird, scheint ein wichtiger Schritt getan. Bis wieder mal einiges anderes kommt.

Auch die Mitarbeiter kommen zu Wort. Werner Knan, Pangs Berater und Mann für alles vor Ort, schildert, warum und wie die Ideen des Chefs immer wieder mit den Vorschriften und Gegebenheiten in einer Region kollidieren, deren Menschen jedes Flugzeug über ihren Dächern ungläubig verfolgen. Aufschlussreich sind auch die Äußerungen der Angestellten. So wird nicht nur das Mammut-Projekt durch die chinesische und deutsche Brille betrachtet, sondern ein kleiner westöstlicher Diwan über viel weitreichendere Themen gesponnen. „Parchim International“ erzählt ein ebenso skurriles wie berührendes Kapitel der Globalisierung. Ende offen.

Info: Parchim International (Deutschland 2015), ein Film von Stefan Eberlein und Manuel Fenn, mit Jonathan Pang, Werner Knan u.a., 93 Minuten. Ab 19. Mai im Kino.

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