Censored Voices: Israels gebrochene Helden
Schon manch ein militärischer Sieg hat sich hinterher als zwiespältig erwiesen. Wenn nicht gar als moralische Niederlage. Nicht nur, aber gerade der sogenannte Sechstagekrieg lässt sich in diesem Licht betrachten. Noch immer prägen allerdings heroische Elemente die Erinnerung an den Schlagabtausch mit Ägypten, Syrien und Jordanien – nicht zuletzt in Israels Schulen. Etwa Aufnahmen von fröhlichen Soldaten, die die Altstadt von Jerusalem mit ihren heiligen Stätten einnehmen. Auch Gaza, die West Bank, die Golanhöhen und der Sinai sind nun in israelischer Hand. Jubel und Siegestaumel allerorten. Manch einer spricht von einer zweiten Staatsgründung Israels.
Mehr Zweifel als Zuversicht
Dass es gerade in der kämpfenden Truppe viele gab, die jene Tage alles andere als triumphal erlebt haben, zeigt der Dokumentarfilm „Censored Voices“. Er basiert auf Tonbandaufnahmen von Soldaten, die wegen der Militärzensur bis vor kurzem nicht veröffentlicht werden konnten. Nur ein kleiner Teil fand in dem von der Kibbuzbewegung herausgegebenen Buch „Gespräche mit israelischen Soldaten“ ein Publikum. Gesammelt hat die Protokolle der damals weithin unbekannte Schriftsteller und spätere Friedensaktivist Amos Oz mit seinem Kollegen Abraham Schapira. Beide hatten ebenfalls gekämpft, doch all die Paraden und Freudensbekundungen machten sie stutzig: Ist der Krieg wirklich so spurlos an den Soldaten vorbeigegangen? Welche Folgen hat das soeben angelaufene Beatzungsregime für die gesellschaftliche Moral? Kurz nach Kriegsende schnappten sie sich ein Tonbandgerät und hakten bei ihren Kameraden nach. Und fanden einiges, was eher von Zweifel als von Zuversicht zeugt.
Die israelische Regisseurin Mor Loushy gibt diesen äußerst lebendigen und anschaulichen, auch selbstkritischen Selbstauskünften breiten Raum. In fast schon epischen Dimensionen offenbaren die Soldaten Dinge über sich und andere, von denen im Kontext dieses nach israelischer Lesart gerechten Krieges bislang selten oder gar nicht die Rede war. Rückblickend geht es um Willkür gegenüber Zivilisten und Kriegsgefangenen, um Plünderungen, Vertreibungen, Eroberungsfantasien und Chauvinismus. Um das Gefühl, endlich zu den Siegern der Geschichte zu gehören.
Bleibt der Mensch im Krieg Mensch?
Und im Nachgang vor allem um die Frage, was mit dem Sieg vom 10. Juni 1967 wirklich gewonnen war. Im Film werden die Interview-Ausschnitte mit zeitgenössischen Nachrichtenbildern und offiziellen Filmaufnahmen kombiniert: Durch dieses Nebeneinander ergibt sich ein gänzlich anderes Bild des Geschehens. Und ein Erzählfluss, der weit in die Vergangenheit zurückreicht und doch äußerst gegenwärtig ist.
Man nehme nur die immer wieder aufflammende Debatte über sogenannte „gute“ und „saubere“ Kriege, etwa gegen Despoten und Terroristen. Oder die Frage, inwiefern der Mensch im Krieg Mensch bleibt. Einordnende Erklärungen von Experten gibt es hingegen nicht: Die Regisseurin setzt in ihrem von ihr selbst so titulierten „Archivfilm“ ganz auf die Wirkung des aus dem Giftschrank befreiten Materials.
Nichts als die Wahrheit
Oft war in letzter Zeit von den psychologischen Folge und Traumata die Rede, die Soldaten von Kriegseinsätzen davontragen. Die Gesprächspartner im Film nehmen viel von dem vorweg. All das ergibt eine bedrückende bis gespenstische Atmosphäre. Auch, weil viele der Interviewten von damals nunmehr vor der Kamera – oftmals fassungslos – ihren eigenen Erzählungen lauschen. Dazu zählen auch Schapira und Oz. Letzteren soll Loushy zum ersten Mal seit jener Zeit dazu gebracht haben, sich die Aufnahmen wieder anzuhören und dazu zu äußern. Offenbar waren die Geister der Vergangenheit zu belastend.
Welche Bürde die Aufarbeitung der eigenen Biografie mit sich bringen kann, hat der spätere Nobelpreiskandidat in seinen Büchern immer wieder bewiesen. Für Oz sind die Tonbänder nichts als die Wahrheit. Mithin eine Wahrheit, die viele Fragen hinterlässt. „Wie wären wir als Gesellschaft geworden, wenn wir diesen Stimmen Raum gegeben hätten?“, fragt Loushy.
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