Kultur

Bürger an die Macht

von Marisa Strobel · 21. September 2014

Roland Roth will mehr „Bürgermacht“, so der Titel seiner „Streitschrift für mehr Partizipation“. Das Buch ist eine Mischung aus wissenschaftlicher Abhandlung und einem Handbuch für mehr Bürgerbeteiligung – ein Spagat, der sich bisweilen als schwierig erweist. Denn den gemeinen Bürger erreicht der Autor damit nicht.

2011 war das Jahr der Proteste: Der „Arabische Frühling“ führte zu politischen Umbrüchen in Nordafrika, die Proteste um „Stuttgart 21“ spitzten sich zu und weltweit zelteten zehntausende Teilnehmer der „Occupy“-Bewegung, um ihren Frust über die Finanzmärkte kundzutun. Es war das Jahr des Erfolgs: Der lang ersehnte Atomausstieg nach Jahrzehnten des Protests, wenn auch durch die Katastrophe im japanischen Fukushima ausgelöst. Für einige war es das Jahr der Niederlage: Beim Volksentscheid zu „Stuttgart 21“ stimmten Ende November 2011 über 58 Prozent der Bürger für den neuen Kopfbahnhof.  

Verhältnisse gestalten
Die Proteste zeigen, wie groß die Sehnsucht einer breiten Bürgerschicht nach mehr Mitbestimmung, nach einer anderen Politik ist. An eben diese Schicht richtet Roland Roth seine Streitschrift. Sein Anliegen ist es, einen Beitrag zur Debatte über das Thema Bürgerbeteiligung leisten. Er will aufzeigen, dass gesellschaftliche Verhältnisse gestaltbar sind.

Seine Sorge: der gesellschaftliche Druck könne nachlassen und so das Ziel demokratischer Machtteilung verfehlen. „Damit die Aufbruchstimmung in Deutschland nicht zu schnell verfliegt, wird es auch weiterhin starke politische Mobilisierungen geben müssen“, appelliert Roth in an seine Leser. Er ist sich sicher: „Gesellschaftliche Mehrheiten wollen heute stärkeren Einfluss auf die Gestaltung ihres Alltagslebens, aber auch auf politische Richtungsentscheidungen.“

Diagnose: Politiker-Verdrossenheit
Mit seinem Buch will Roth engagierten Bürgern eine Hilfestellung geben. Er will Mut machen zu sozialen und politischen Experimenten. Dazu analysiert der Autor, ganz Wissenschaftler, zunächst die gegenwärtige politische Situation in Deutschland und arbeitet die Schwachstellen des Systems heraus.

Der Einzug des Managementjargons im öffentlichen Sektor habe die Kluft zu den Bürgern und deren Misstrauen gegenüber der „politischen Klasse“ erheblich gesteigert. Auch bekomme die Reformpraxis gegen Teile der Bürgerschaft einen unangenehmen Beigeschmack, wenn ihre Protagonisten nach dem Ausscheiden aus ihren politischen Ämtern in entsprechend begünstigte Branchen wechselten. Um gegen derartige Verflechtungen von Politik und Wirtschaft anzukämpfen, drängt Roth auf eine mehrjährige Karenzzeit für Politiker oder gar Verbot derartiger Job-Wechsel.

Nach dieser – zu Recht – kritischen Bestandsaufnahme blickt Roth auf die Bürgerbewegungen und -initiativen der vergangenen sechzig Jahre zurück und stellt schließlich eine Reihe an Modellen vor, die eine größere Bürgerbeteiligung vorsehen. Doch genau darin liegt die Schwachstelle des Buches.

Am Leser vorbei geschrieben
Denn wenn Roth wirklich eine breite Bürgerschaft erreichen will, um diese zu mobilisieren, wird er es mit einem Buch wie diesem kaum schaffen. Zu umfangreich sind die Informationen. Manche Sätze wirken gar endlos, ein Beispiel: „Die nachlassende Bindungskraft repräsentativer Institutionen ist bislang nicht mit einem Verlust demokratischer Orientierungen in weiten Teilen der Bevölkerung verbunden, sondern mit der Erfindung und Nutzung intensiverer Formen demokratischer Beteiligung, seien sie nun direkter, assoziativer oder deliberativer Art.“ Durch derartige Satzgebilde läuft Roth Gefahr, seine Leser zu verlieren, noch bevor er zu seinem zentralen Anliegen kommt: den praktischen Beispielen für mehr Partizipation.

Dabei stellt Roth in der Tat beachtenswerte Experimente vor. Und er weist auf falsch verstandene Bürgerbeteiligung hin. Viele der bereits praktizierten Beteiligungsangebote auf kommunaler Ebene seien in Wahrheit eine „Treppe ins Nichts“, nämlich ohne Einfluss. So würden Eltern eingeladen werden, sich an der familienfreundlichen Planung ihres Quartiers zu beteiligen, während die Schulverwaltung die zentrale Schule des Stadtviertels schließe. Roth hält es deshalb für unabdingbar, gerade auf lokaler Ebene Strukturen zu stärken, die mehr Bürgerbeteiligung vorsehen.

Roths Kritik ist berechtigt – und durchaus lesenswert. Sein Buch jedoch richtet sich vor allem an die Theoretiker. Ob es die Bürger mobilisieren kann, sich weiterhin für mehr Beteiligung einzusetzen, bleibt fraglich.

Roland Roth: Bürgermacht – Eine Streitschrift für mehr Partizipation, Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2011, 328 Seiten, 16,00 Euro, ISBN 978-3896840813

Autor*in
Marisa Strobel

ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.

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