Kultur

Buchtipps zu Weihnachten: Fünf Empfehlungen der vorwärts-Redaktion

Wie wäre es zu Weihnachten mal wieder mit einem guten Buch? Egal, ob als Geschenk oder zum Selberlesen: Wir haben ein paar Tipps.
von Kai Doering · 16. Dezember 2021
Weihnachtszeit ist Lesezeit: Die vorwärts-Redaktion hat fünf Buchtipps für die Feiertage.
Weihnachtszeit ist Lesezeit: Die vorwärts-Redaktion hat fünf Buchtipps für die Feiertage.

Leben als Raumfahrer

„Raumfahrer“ ist ein Buch, das man lesen sollte, wenn man auch nur im Ansatz die verstehen will, denen durch die Wende der Boden unter den Füßen wegrutschte und denen es schwerfiel, ihren nach der Wende geborenen Kindern Orientierung zu geben.

Der Autor Lukas Rietzschel ist ein Nachwendekind – genau wie seine Hauptfigur Jan, der als Krankenpfleger in einem Krankenhaus arbeitet, das bald geschlossen wird, und allein mit seinem Vater in einer trostlosen sächsischen Kleinstadt lebt. Sein Leben wird erst interessant, als er „den Alten“ trifft: Thorsten Kern, den Sohn von Günter Kern und Neffen von Hans-Georg Kern, besser bekannt als der weltberühmte Maler Georg Baselitz.


Die Elterngeneration, die Rietzschel beschreibt, das sind die „Raumfahrer“, die sich in einem luftleeren Raum bewegen, in einer Zwischenwelt zwischen der scheinbar wertlosen Vergangenheit der DDR und dem Leben in der Bundesrepublik, in dem sie kaum Schritt halten können. Die Nachwende-Zeit ist kein neues Thema für Rietzschel. Er hat es schon in seinem ersten Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ aufgegriffen. Dort aus der Sicht der Jungen. In „Raumfahrer“ sucht er zu erklären, was mit der Elterngeneration geschehen ist. Doch das Buch geht über die Singularität der Wendezeit hinaus.

Wie Jan im Roman erhielt Rietzschel alte Dokumente der Familie Kern. So verknüpfen sich in seinem Buch die Schicksale zweier Familien – das von Jans Familie mit dem tatsächlichen der Maler-Familie. Auch wenn letzteres zugespitzt wird, verliert es nichts an Authentizität. Durch diese Verknüpfung verbindet Rietzschel die Nachwendezeit mit der Nachkriegszeit. Er geht der Frage nach, was mit Menschen geschieht, die großen gesellschaftlichen Brüchen ausgeliefert sind, welche für manche Befreiung und für andere Zusammenbruch bedeuten. Was passiert in diesen Umbruchsjahren? Es ist ein Glück, dass es mit Lukas Rietzschel einen begnadeten Autor gibt, der diese Fragen stellt. Und es ist ein Glück, dass Georg Baselitz‘ Bruder Günter dem jungen Autor die Familienpapiere überlassen hat.

Lukas Rietzschel: Raumfahrer dtv Verlag, 288 Seiten, 22 Euro ISBN 978-3-423-28295-6
 

Kanzler, Kosmopolit, Klavierspieler

Helmut Schmidt war Hanseat, Staatsmann und Klavierspieler. Seine musikbegeisterte Mutter Ludovika sorgte dafür, dass der kleine Helmut früh Klavierstunden bekam. Wirkliche Begeisterung für das Instrument entwickelte er aber erst, als er auf die Hamburger Lichtwarkschule kam. So zumindest beschreibt es Reiner Lehberger in seinem neuen Buch über Helmut Schmidt.

Nachdem er bereits eine Biografie über Loki Schmidt geschrieben und sich vor drei Jahren dem „Jahrhundertpaar“ Loki und Helmut gewidmet hat, beschreibt Lehberger nun, welche Rolle die Musik und insbesondere das Klavier von früh an für Schmidt gespielt haben. So liest man mit einiger Verwunderung, welche Mühen er als Soldat im Zweiten Weltkrieg auf sich nahm, um regelmäßig an seinem Fingersatz arbeiten zu können. Und auch als Kanzler setzte er sich regelmäßig noch nach langen Arbeitstagen ans Klavier. So war er auch der erste – und bisher einzige – Kanzler, der eine eigene Schallplatte aufgenommen hat. Seine Mitspieler: Justus Frantz und Christoph Eschenbach.

Reiner Lehberger: Helmut Schmidt am Klavier. Ein Leben mit Musik Hoffmann und Campe 344 Seiten, 24 Euro ISBN 978-3-455-01225-5
 

Gemeinsam für Gerechtigkeit

Dieses Buch ist ein Wutausbruch. Die Soziologin Jutta Allmendinger hat aufgeschrieben, wo es in der Gesellschaft in Sachen Geschlechtergerechtigkeit hakt, vor allem aber, was dagegen getan werden sollte. Der Auslöser: natürlich die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns und Schulschließungen, die vor allem für Frauen bedeuteten, sich um die Kinder zu kümmern. Allmendinger nennt das eine „Re-Traditionalisierung“. Und auch wenn sich seit Erscheinen des Buches Anfang des Jahres manches in eine bessere Richtung entwickelt, bleibt die Botschaft richtig: „Gemeinsam müssen Frauen, müssen Frauen und Männer, die Gleichstellung entschlossen vorantreiben.“

Jutta Allmendinger: Es geht nur gemeinsam! Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen Ullstein Verlag 144 Seiten, 12 Euro ISBN 978-3-548-06452-9
 

Kein Verdrängen

Dunkelblum heißt eigentlich Rechnitz. In der Gemeinde im österreichischen Burgenland ereignete sich wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs ein Massaker: 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter wurden von den Gästen eines Schlossfestes erschossen. Jahrzehntelang wurde über den Vorfall geschwiegen. Der Schriftstellerin Eva Menasse dient das Massaker von Rechnitz als Vorlage für ihren Roman, der Jahrzehnte später kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs im fiktiven Ort Dunkelblum spielt. In das Idyll des Ortes fallen zuerst ein unbekannter Mann und schließlich die Erinnerung an ein lange zurückliegendes Verbrechen ein. Menasse geht es dabei nicht um den Fall Rechnitz, sondern um den Umgang mit Schuld und das Verdrängen in der österreichischen Geschichte. Ein spannender, ein aufrüttelnder Roman.

Eva Menasse: Dunkelblum, Kiepenheuer & Witsch 528 Seiten, 25 Euro ISBN: 978-3-462-04790-5
 

Grüße aus Moskau

Es geht nicht immer gut aus, wenn Journalisten anfangen, Romane zu schreiben. Im Fall von Yassin Musharbash, Investigativjournalist bei der „Zeit“, jedoch kommt stets ein spannender Thriller dabei heraus. Das war bei „Radikal“ (2011) und „Jenseits“ (2017) so, und so ist es auch bei seinem neuesten Buch „Russische Botschaften“. Musharbash verlässt darin die Themen Nahost-Konflikt und Islamismus und wendet sich stattdessen einem anderen Problem unserer Zeit zu: den Fake News. Die Investigativreporterin Merle wird Zeugin des Mordes an einem Mann, der als Agent für den russischen Geheimdienst gearbeitet hat. Mit den Kollegen zweier Investigativteams macht sie sich auf die Suche nach den Hintermännern und merkt dabei erst sehr spät, wem sie mit ihren Recherchen auf die Füße tritt. Spannung ist so bis zur letzten Seite garantiert.

Yassin Musharbash: Russische Botschaften, Kiepenheuer & Witsch 400 Seiten, 16 Euro ISBN 978-3-462-00096-2

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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