Buchtipps: Sieben Last-Minute-Geschenke für Sozialdemokrat*innen
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Schon vor der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933 blühte der Antisemitismus. Der Historiker Christian Dietrich hat untersucht, wie sich die SPD der Entwicklung in der Weimarer Republik entgegenstellte. Was heute selbstverständlich scheint, war es zur damaligen Zeit nicht, sahen manche im Antisemitismus „ein Zeichen des Niedergangs der bürgerlichen Ordnung, an dessen Ende die sozialistische Gesellschaft stehe“, wie Dietrich schreibt. Orientierung gab den Genoss*innen damals vor allem ihr Vorsitzender August Bebel. Dass der Antisemitismus der Sozialdemokratie nutzen könnte, sei kein Grund, den Judenhass nicht zu bekämpfen, gab der Vorsitzende vor, zumal einige führende Sozialdemokrat*innen selbst jüdischen Glaubens waren.
Dietrichs Buch gibt einen fundierten Einblick in die damaligen Debatten auf den unterschiedlichen Ebenen der SPD. Um nicht nur die Funktionärssicht abzubilden, wurden auch Quellen wie der „Vorwärts“ herangezogen. Lesenswert!
Christian Dietrich: Im Schatten August Bebels. Sozialdemokratische Antisemitismusabwehr als Republikschutz 1918 – 1932, Wallstein Verlag 2021, ISBN 978-3-8353-3787-9, 34,90 Euro
Wer hätte im Frühjahr 2021 auf einen Sieg der SPD bei der Bundestagswahl gesetzt? Die Partei galt als ausgelaugt, Spitzenkandidat Olaf Scholz als chancenlos. Am Wahltag lag die SPD schließlich mit 25,7 Prozent der Stimmen vor. Einige Wochen später nahm die „Fortschrittskoalition“ aus SPD, Grünen und FDP ihre Arbeit auf. Wie der SPD dieses Comeback gelingen konnte, hat der Historiker Dietmar Süß untersucht.
Dabei geht es ihm nicht um Verehrung oder gar Verklärung. Vielmehr analysiert Süß die Probleme, die die SPD in den vergangenen Jahren hatte und die mit dem Wahlsieg „keineswegs über Nacht verschwunden“ sind. Der Blick zurück ist dadurch vor allem auch ein Blick nach vorn, für einen Historiker eine durchaus bemerkenswerte Perspektive.
Dietmar Süß: Der seltsame Sieg. Das Comeback der SPD und was es für Deutschland bedeutet, C.H.Beck 2022, ISBN 978-3-406-79318-9, 18 Euro
Irgendwann kann sie nicht mehr anders. Im Mai 1940, der Zweite Weltkrieg findet mit Luftangriffen längst auch in Deutschland, beginnt Anna Haag ein geheimes Tagebuch zu führen. hört genau zu, was sich die Menschen in der Straßenbahn oder im Geschäft erzählen und schreibt es mit eigenen Bewertungen auf. „Denn was kann es für ein Leben geben, danach, wenn keiner weiß oder wissen will, wie es wirklich gewesen war?“, lässt die Historikerin Gabriele Katz die 52-jährige Anna Haag in ihrer in Romanform gehaltenen Biografie ihre Entscheidung begründen. Katz erfasst darin den Zeitraum zwischen August 1940 und dem Kriegsende 1945. Immer wieder gibt es Rückblicke in die Kinder- und Jugendzeit.
Die Biografie ist eine gelungene Ergänzung des im vergangenen Jahr editiert erschienenen Tagebuchs und erzählt anschaulich den entscheidenden Teil des Lebens einer leider in Vergessenheit geratenen Sozialdemokratin. Immerhin ist sie dafür verantwortlich, dass der Satz „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“ heute im Grundgesetz steht.
Gabriele Katz: Anna Haag. Schreiben in Zeiten des Kriegs, 8 Grad Verlag 2022, ISBN 978-3-910228-00-9, 24 Euro
Seit einem Jahr ist Olaf Scholz Bundeskanzler, der vierte der SPD. Daran geglaubt haben noch im Sommer vergangenen Jahres die wenigsten. Er selbst dagegen hatte schon Jahre vorher den Kanzler-Plan. Das zumindest schreibt Lars Haider in seinem Buch „Olaf Scholz. Der Weg zur Macht“. Er kennt Scholz schon lange, ist seit 2011 Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“. Schon kurz nach dem Wahlsieg hat Haider die Geschichte über Scholz aufgeschrieben, „den die eigene Partei lange nicht geliebt hat und der trotzdem fest daran glaubte, eines Tages Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden“.
Haider hat dabei keine klassische Biografie geschrieben, sondern beleuchtet schlaglichtartig Scholz‘ Zeit als Bürgermeister in Hamburg, sein Verhältnis zu Helmut Schmidt, die Jahre als Bundesfinanzminister und schließlich den Bundestagswahlkampf. Auch nach einem Jahr Ampel eine lohnende Lektüre.
Lars Haider: Olaf Scholz. Der Weg zur Macht, Klartext Verlag 2021, ISBN 978-3-8375-2489-5, 20 Euro
Er war Regierungssprecher von Johannes Rau, Kämmerer in Köln und Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. Die meisten werden Norbert Walter-Borjans jedoch kennengelernt haben in seiner Zeit als Vorsitzender der SPD, des ersten in einer Doppelspitze mit Saskia Esken. Am 17. September hat „NoWaBo“ seinen 70. Geburtstag gefeiert. Zu diesem Anlass haben Wegbegleiter, Freunde, aber auch politische Gegner Texte geschrieben, die nun in einem Buch erschienen sind. „Politik für Menschen“ lautet der – außerordentlich passende – Titel. Darin bleibt es nicht bei Gratulationen. Saskia Esken etwa schreibt über die „wilde“ Zeit der beiden an der SPD-Spitze, Christian Lindner von der „rheinischen Verständigung jenseits des Politischen“. Damit ist das Buch nicht nur ein Stück sozialdemokratische Zeitgeschichte, sondern auch ein spannendes Lesebuch für politisch Interessierte.
Martin Murrack (Hrsg.): Politik für Menschen. Der Sozialdemokrat Norbert Walter-Borjans wird 70!, epubli 2022, ISBN 9783756534098, 27,95 Euro
Im Mai ist sie 90 geworden. Wer meint, dass Dolly Hüther dadurch leiser geworden ist, hat sich jedoch geschnitten. Im vergangenen Jahr ist ihr neuestes Buch erschienen. „Ich bleibe!“ heißt es selbstbewusst. Dolly Hüther, die von ihren Eltern Isolde genannt wurde, blickt darin schlaglichthaft zurück auf ein bewegtes Leben und ihren Weg in die Politik, was gleichbedeutend ist mit ihrem Weg in die SPD – der zunächst eher ein Zufall war, so viel sei verraten. Zielgerichtet dagegen war und ist ihr Einsatz für die Rechte der Frauen, ob im Bundesvorstand der ASF oder auf dem Titel des Stern „Wir haben abgetrieben“. Darüber hinaus ist sie als Dozentin an der Volkshochschule im Saarland tätig.
Hüthers Texte, gesammelten Briefe und Erinnerungen sind ein lesenswertes Zeitzeugnis und spiegeln nicht nur ihren eigenen Kampf für Gleichberechtigung wider, sondern auch den der SPD. Die Aktualität vieler Themen ist dabei fast erschreckend.
Dolly Hüther: Ich bleibe! Ein politisches Leben – gestern und heute, Dietz-Verlag 2021, ISBN 978-3-8012-0615-4, 16 Euro
Er galt als „ein personifiziertes Leitmedium von allgemeinpolitischen Tageskommentaren der SPD-Presse“. So zumindest beschreibt der Historiker Detlef Lehnert den Journalisten und sozialdemokratischen Politiker Friedrich Stampfer. Denn bevor der 1916 Chefredakteur des „Vorwärts“ wurde (und fast 17 Jahre bis zum Verbot des „Vorwärts“ blieb), betrieb Stampfer von Berlin aus einen Ein-Mann-Pressedienst für sozialdemokratische Regionalzeitungen. Als Politiker gehörte Stampfer zu den 94 SPD-Abgeordneten, die im März 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis stimmten. Aus dem Exil gab er später zeitweise den „Neuen Vorwärts“ heraus.
Detlef Lehnert rekonstruiert in seinem 500 Seiten starken Werk Stampfers Leben und Wirken. Er füllt damit eine Lücke, denn eine Biografie gab es über Friedrich Stampfer bisher nicht. Nach der Lektüre fragt man sich umso mehr: Warum eigentlich nicht?
Detlef Lehnert: Friedrich Stampfer 1874 – 1957. Sozialdemokratischer Publizist und Politiker: Kaiserreich – Weimar – Exil – Bundesrepublik, Metropol Verlag 2022, ISBN 9783863316235, 26 Euro
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.