Fred Oberhauser heißt der wunderliche Architekt und Eigentümer dieser in die Tiefe führenden Leiter. Ich fragte ihn: "Was willst du mit den vielen Büchern?" und fuhr fort: "Sie hindern dich, beengen dich, ich kann dir Erleichterung verschaffen." "Das glaube ich dir gerne", antwortete er, "aber im Gegensatz zu dir arbeite ich nicht nur in, sondern auch mit meiner Bibliothek", setzte sich auf eine der Stufen und lachte mir frech ins Gesicht. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm auf seinen Ausflügen in die literarische Welt zu folgen und ihm stehend zu huldigen.

Das Ergebnis seiner Arbeit mit den Büchern kann sich sehen lassen. Im "Literarischen Führer Deutschland", den er gemeinsam mit Axel Kahrs verfasst hat, schöpft er die über Jahrzehnte als Literaturredakteur gesammelten Kenntnisse ab und liefert uns eine Fülle von Informationen, Daten und Beschreibungen, die nicht nur eine eigene Landkarte Deutschlands ergeben, sondern den Lesefreudigen und Bildungshungrigen ein nahezu unerschöpfliches Kompendium des Genius Loci liefern, die Verknüpfung der Geistesheroen samt ihrer Produkte mit realen Orten, Straßen und Plätzen in Deutschland.

Ein Backstein voller Informationen

Wozu das eigentlich? Sollte man denn nicht Bücher lesen, sich von den Texten fangen lassen, und es den Germanisten überlassen, herauszufinden, wo das Werk entstanden ist? Ist es von Bedeutung, dass bei Triest tatsächlich ein Schloss Duino existiert, in dem einige von Rilkes Duineser Elegien entstanden sind? Ist es wichtig, wo Alfred Döblin in Berlin lebte und wo er als Arzt praktizierte? Es ist unwichtig, wenn man die Bücher liest. Es kann aber wichtig sein, oder besser: Es macht unsereinen reicher, wenn er etwa durch die Straßen Münchens oder Berlins geht und dort an fast jeder Ecken einen Bezug zu Deutschlands Geistesleben findet.

Es müssen nicht nur die Friedhöfe mit ihren Ehrengräbern sein, wo ich manchen meiner Favoriten aus früheren Zeiten schon besucht habe - das ist dann schon eher eine kleine Wallfahrt. Es geht um den Alltag: Die Stadt, die Strassen und Plätze tragen die Spuren meines Lebens und die derjenigen, die vorher, zu anderen Zeiten, hier gelebt haben und ihren Geschäften nachgegangen sind.

Fred Oberhauser und Axel Kahrs haben ein 1469 Seiten umfassendes, inhaltsschweres, wie ein zu groß geratener Backstein daherkommendes Mordstrumm geschaffen, das gut und gerne zweieinhalb Kilo wiegt. Da steht nun von Aachen bis Zittau (fast) alles drin. Wichtige und auch unwichtige Informationen, für Literaturfreunde und Bildungsbürger aber ein unverzichtbarer Cicerone, wenn sie unterwegs die realen und phantasiegeborenen Literaturdenkmäler neben den längst kanonisierten Baudenkmälern kennen lernen wollen. Neben Büchmann, Michelin und Baedeker ein weiteres Muss für den empfindsamen Reisenden. Am 21. 4. wird das Buch standesgemäß im Literaturarchiv Marbach vorgestellt

Fred Oberhauser, Axel Kahrs: Literarischer Führer Deutschland, Suhrkamp/Insel 2009, 48 Euro, ISBN 978-3458174158

Reinhard Klimmt ist Bundesminister a.D., von 1998 bis 1999 war er Ministerpräsident des Saarlandes. In regelmäßigen Abständen schreibt der Bücherfreund in seiner Kolumne auf vorwärts.de "aus der Welt der Bücher".

Autor*in
Reinhard Klimmt

war von 1998 bis 1999 Ministerpräsident des Saarlandes und von 1999 bis 2000 Bundesminister für Verkehr, Bau und Wohnungswesen.

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