Die Mittelmeerunion könnte Europa wiederbeleben, meint der Kulturwissenschaftler Claus Leggewie. Über sein Buch „Zukunft im Süden“ diskutierte er auf der Frankfurter Buchmesse mit dem hessischen SPD-Chef Thhorsten Schäfer-Gümbel.
Es ist ein überraschender Ansatz, den der Politik- und Kulturwissenschaftler Claus Leggewie gewählt hat. Viel ist geredet worden darüber, wie man die EU aus der Krise führen kann. Folgenden Ansatz hat man bisher selten gehört: Die Mittelmeerunion könnte Europa auf die Beine helfen. Wie das funktionieren könnte, beschreibt Leggewie in seinem Buch „Zukunft im Süden“.
Am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse spricht Leggewie darüber mit Thorsten Schäfer-Gümbel, dem hessischen SPD-Vorsitzenden. Der lobt sein Buch als „ wohltuenden Beitrag“, weil Leggewie mutig nach vorne schaue. „Wenn die EU sich Südeuropa stärker hinwendet und sie aufnimmt, stärkt es sie und schwächt sie nicht“, sagt er. Nationale Grenzen wieder hochzuziehen sei der falsche Ansatz.
Verachtung für die „PIGS“
Genau das könnte passieren, wenn die Skeptiker sich durchsetzen, die nur noch ironisch von den „PIGS“ sprechen, wenn sie Krisenstaaten wie Portugal, Irland, Griechenland und Spanien meinen. Dieser Begriff drücke Verachtung für ein angebliches „Schweinesystem“ im Süden aus, den man im Norden nun am liebsten loswerden wolle, ereifert sich Leggewie. Dabei würde ja auch keiner auf die Idee kommen, die Vereinigung zwischen Ost- und Westdeutschland wieder rückgängig machen zu wollen. „Wir brauchen ein Bekenntnis zum Mittelmeer“, sagt Leggewie. Und damit meint er nicht nur die Länder, die schon zur EU gehören.
Sein Konzept basiert auf der 2008 gegründeten „Union für den Mittelmeerraum“, in der sich die EU-Staaten mit den weiteren Mittelmeeranrainerstaaten, Mauretanien und Jordanien zusammengeschlossen haben. „Diese müssen wir mit Leben füllen“, sagt Leggewie. „Wir müssen eine Brücke nach Nordafrika auch deshalb bauen, um unser Modell einer demokratischen Gesellschaft stark zu machen“, ergänzt Schäfer-Gümbel.
Wie einst die EU
Leggewie erinnert an die Ursprünge der Europäischen Union: Die Gründung der Montanunion 1951. Ziel der Gründerstaaten sei ein gemeinsames Konzept für den Kohlehandel gewesen, also letztlich eine bessere Energieversorgung. Etwas ähnliches schwebt ihm nun für die Mittelmeerunion vor: Indem sie gemeinsam die Energieversorgung der Zukunft sichern, könnten die EU und Nordafrika wirtschaftlich enger zusammenwachsen, wovon alle profitieren würden.
Als Leggewie das erklärt, reagiert Schäfer-Gümbel misstrauisch. Er halte zum Beispiel nichts von dem Projekt Desertec, erklärt er. Dieses sieht vor, an erneuerbare Energien an energiereichen Standorten etwa in Nordafrika oder Südeuropa zu produzieren und an die Verbraucher, vor allem in europäischen Industrieländern, weiterzuleiten. „Afrika hat davon gar nichts“, schimpft Schäfer Gümbel. Das Projekt festige lediglich die Monopole der großen Energieunternehmen.
Leggewie: Wachstum ja, aber nicht mit Hotels
So will Leggewie sein Konzept nicht verstanden wissen. „Das Modell Desertec muss dekolonialisiert und demokratisiert werden“, wendet er ein. Die Energieproduktion müsse den Ländern selbst zukommen, die sie produzieren. Dennoch sei Energiepolitik ein gutes Mittel, um die Länder im Süden nachhaltig zu fördern. „Wir müssen dort das Wachstum voranbringen, aber nicht, indem wir weitere LKW-Parkplätze oder Hotels bauen.“
In seinem Buch beschränkt sich Leggewie aber nicht nur auf das Thema Energie. Er fordert ein „Europa der Regionen“, das kulturelle Vielfalt ebenso fördert wie mehr europäische Demokratie. Als eine Utopie beschreibt er seine Vorschläge, „aber als eine realistische Utopie“. Ob sie einmal Wirklichkeit wird? „Sie muss“, sagt Schäfer-Gümbel.
Info: Claus Leggewie: „Zukunft im Süden. Wie die Mittelmeerunion Europa wiederbeleben kann“. Edition Körber Stiftung 2012, 272 Seiten, 16,00 Euro, ISBN: 978-3-89684-093-6.
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.