Die Fabrikarbeiterin Anna war eines dieser sogenannten späten Mädchen, als sie mit 27 Jahren den acht Jahre älteren Hans Fallada, im bürgerlichen Leben Rudolf Ditzen, kennen lernte. Er war
damals - nach Gefängnisaufenthalt, mit Sucht nach Alkohol und Morpium - wohl eher das, was man eine gescheiterte Existenz nennt, verdiente sich sein Geld mit dem Schreiben von Adressen. Und doch
rauften sich die beiden zusammen. Für beide kam das Glück spät, aber nicht zu spät.
In 15 Jahre Ehe schrieben sie sich eine Vielzahl von Briefen: lange und kurze - je nach Zeit und Verfassung - aber immer sehr herzliche. Voller Leidenschaft und Sehnsucht sind die der
Jungverliebten, voller Zärtlichkeit und Phantasie die der Verheirateten. Und selbst im Prozess der Trennung kämpfen sie um ein Miteinander.
Freundschaftsbande
Hans Fallada, inzwischen erfolgreicher Schrifsteller, will seine Frau zurück. Doch die antwortet: "Fünfzehn Jahre Ehe, wie wir sie geführt haben, lassen sich nicht einfach auslöschen, aber
das Ende unserer Ehe war doch zu schmerzhaft. Aber wenn ich mir auch sagen würde, dass ich jetzt so allein ein recht schweres Leben habe & dass ich es wahrscheinlich leichter hätte, wenn ich
wieder einen Mann zur Seite hätte; und obgleich Du mir sehr leid tust & ich Dir gern helfen würde, so kann ich doch nur mit einem klaren, glatten "Nein" antworten. Ich kann Dich nicht
wiederheiraten und ich will es auch nicht. Seit unserer Trennung bin ich ein völlig anderer Mensch geworden, auch Du bist ganz ganz anders geworden, eine neue Ehe zwischen uns geht bestimmt nicht
mehr gut. Das Beste wird schon sein, wenn wir versuchen Freunde zu sein, & was ich Dir in dieser Form helfen kann will ich gerne & uneingeschränkt tun." (7.10. 1946) Konsequent und klar
drückt Anna sich aus. Schon lange ist sie aus dem Schatten ihres Mannes getreten. Lebt ihr eigenen Leben. Bindeglieder zwischen beiden bleiben ihre drei Kinder und das Band der Freundschaft.
Hans Fallada akzeptiert schließlich: "Ich will Dir gestehen, dass ich Dein "Nein" mit einem gewissen Gefühl der Erleichterung aufgenommen habe. Aus zwei Gründen: einmal weiss ich nun von Dir
selbst, dass mir der Rückweg zu Dir verschlossen ist; ich hatte doch in mancher Schwierigkeit oft an diesen Rückweg gedacht. Nun weiss ich, es gibt ihn nicht mehr, und so werde ich die
Schwierigkeiten anders und besser überwinden. Der zweite Grund zur Erleichterung aber war es, dass ich nun ein gewisses Schuldgefühl Dir gegenüber, das mich doch immer noch gequält hatte, verloren
habe. Du willst mich nicht mehr, nun gut, werden wir also Freunde, wie Du es gesagt hast, ich bin es eigentlich Dir gegenüber wohl schon lange. Jedes Gefühl von Erbitterung usw. ist gewichen, und
ich denke gerne an die Jahre mit Dir zurück, ich möchte sie nicht missen." (27.10.1946)
Lebenszeiten
Ihren Briefwechsel sollte eigentlich niemand lesen. Hans Fallada schrieb an Anna "Ich glaube eigentlich nicht, dass sich unsere, vielmehr meine Braut- und Ehebriefe zum Druck eigen (28.
Januar 1931). Anna an Hans: "Dass unsere Briefe sich nicht zum Druck eigenen, ist auch meine Ansicht. Und wenn Du jemals diese ungeheuerliche Idee haben solltest, streike ich! Jawohl, das geht
keinen Menschen was an, was wir uns schreiben" (30. Januar 1931).
Ein Glück, dass Sohn Uli das "eigentlich" als doch sehr wage auslegte und sich darüber hinwegsetzte. Zum 60. Todestag des Vaters und über 15 Jahre nach dem Tod der Mutter veröffentlichte er
die Briefe seiner Eltern, die sich im Ordner "Wir" des Nachlasses befanden. Sie sind ein unsagbarer Schatz. Geben nicht nur Auskunft über die Liebe der Eltern sondern dokumentieren die Zeit ihres
Lebens, wie es kein Geschichtsbuch je vermögen würde: von der Verlobung und frühen Ehezeit (1928-1939) über Jahre im Frieden (1932 bis 1937) bis zu Krieg und Zusammenbruch (1944-1946).
Dagmar Günther
Ulrich (Uli) Ditzen (Hg.): Hans Fallada, Anna Ditzen. Wenn Du fort bist, ist alles nur halb. Briefe einer Ehe, Aufbau Verlag, Berlin 2007, 518 Seiten, 24,95 Euro, ISBN
978-3-351-03220-3
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