Im Zentrum standen zwei Hauptakteure der deutschen Bundespolitik: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD). Ernst Elitz, Intendant des Deutschlandfunks,
bescheinigte dem Vizekanzler eine gute Rhetorik. Der Sozialdemokrat drücke sich klar verständlich aus und man könne ihn gut zitieren. Jedoch sei aus seinem Stil mittlerweile eine Masche geworden.
Jeder Kabarettist könne "Münte" imitieren. Thomas Schmids Urteil fiel nicht so positiv aus: "Ich mag Münteferings kurze Sätze - aber ich weiß auch, dass er mich betrügt, weil er vieles nicht sagt",
erklärte der designierte "Welt"-Chefredakteur. Noch weniger kann Michael Engelhard dem Sprachstil des Sauerländers abgewinnen. Der ehemaligen Redenschreiber von Richard von Weizsäcker,
Hans-Dietrich Genscher und Walter Scheel bezeichnete Müntefering als "ein Beispiel für mangelnde Redekultur".
Münteferings Redenschreiber Carsten Brosda beurteilte das natürlich ganz anders. Der Vizekanzler werde mit seinem Stil als sehr authentisch wahrgenommen. Besonders gut gelinge es ihm, den
Fokus auf das Wesentliche zu richten. "Müntefering fügt keine schmückenden Girlanden hinzu. Er nimmt eher etwas weg", so Brosda.
Bei Angela Merkel gingen die Ansichten noch weiter auseinander. Matthias Graf von Kielmannsegg berichtete von Gesprächen der Kanzlerin mit Bürgern im Wahlkreis. "Diese Bürger haben Frau
Merkel bescheinigt: 'bei Ihnen wissen wir, was sie meinen", erklärte der Redenschreiber der Bundeskanzlerin. Dem konnte Franziska Augstein von der Süddeutschen Zeitung gar nicht zustimmen. "Angela
Merkel hat sich die ersten Jahre klar ausgedrückt, das ist heute nicht mehr der Fall." Die Kanzlerin wolle es allen Recht machen, sie verwende nur noch allgemeingültige Begriffe und reihe diese oft
ohne Rücksicht auf Grammatik und Semantik aneinander.
Thomas Schmid vertrat die Meinung, dass Merkel als Ostdeutsche zunächst die Sprache der BRD wie eine Fremdsprache habe lernen müssen. Später sei die CDU-Vorsitzende "übervorsichtig" geworden,
was sich heute in ihrer Rhetorik widerspiegele. Michael Engelhard unterstrich diese Ansicht. Merkel schlängele sich irgendwie durch. "Wer ist diese Frau?" fragte er.
Die Diskussionsteilnehmer konnten sich auf keinen großen Rhetoriker in der aktuellen Politik einigen. Der eine oder andere wollte einen Bruch nach dem Abtritt von Joschka Fischer ausgemacht
haben. Andere verwiesen auf große rhetorische Traditionen in anderen Ländern, die es in Deutschland nie gegeben habe. Franziska Augstein spitzte es besonders drastisch zu: "Im englischen Parlament
würde keiner unserer Politiker länger als zwei Monate überleben", sagte sie.
So stellte sich dann unweigerlich die Frage, ob fehlende Redekunst mit schlechter Politik gleichzusetzen sei. Oder ob ein guter Rhetoriker denn auch automatisch ein guter Politiker sei. Für
Frank Brosda bleiben Rhetorik und Politik zwei Paar Schuhe. "Rhetorik ohne Substanz ist nichts wert. Es geht nicht nur darum, eine schöne Oberfläche zu zeigen." Deshalb sei ein guter Rhetoriker
nicht automatisch ein guter Politiker. "Aber umgekehrt gibt es gute Politiker, die schlechte Redner sind", betonte Brosda.
In eine ähnliche Richtung argumentierte Michael Engelhard. "Der Zuhörer spürt, ob der Redner glaubt, was er sagt." Wenn er nicht glaubwürdig wirke, verpuffe die Rede bei aller geschliffenen
Rhetorik.
Ernst Elitz ging einen Schritt weiter. Er sprach sich dafür aus, die politische Rede komplett abzuschaffen. Denn sie sei ein Angebot, das keine Kundschaft habe. "Wer hört Politikerreden?",
fragte er. Die Parlamente seien leer und auch nur wenige Bürger hörten sich die Reden an. Deshalb sei die Politikerrede überflüssig. "An ihre Stelle sollten Interviews treten", meinte er. Der
Politiker könne durch den Interviewer provoziert werden und müsse gegenhalten, was wiederum klarere politische Aussagen mit sich bringe. "Der Journalist als Coach ist für die politische Kultur im
Land besser als schlechte Reden", lautete sein Fazit.
Jürgen Dierkes
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