Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff hält künstliche Befruchtung für „abartig“, daraus entstandene Kinder bezeichnete sie in ihrer menschenverachtenden Dresdner Rede als „Halbwesen“. Heute hat sie sich im ZDF entschuldigt – allerdings nur für einen Satz ihrer Rede.
Der Reihe nach. Vergangenen Sonntag hielt die mehrfach preisgekrönte Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff im Dresdner Schauspielhaus eine sogenannte Dresdner Rede. In dieser Veranstaltungsreihe äußern sich prominente Persönlichkeiten zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen. Lewitscharoffs Rede hat den Titel „Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“.
Sie spricht über den Tod ihr nahe stehender Menschen und führt aus, wie wichtig ihr religiöser Glaube sei. Dann holt Lewitscharoff zum Schlag auf die Reproduktionsmedizin aus. Als „Frau und Herr Doktor Frankenstein“ bezeichnet sie die Mediziner, ihre Tätigkeit findet sie „nichts weniger als abscheulich“. In Zusammenhang mit der für eine künstliche Befruchtung nötigen Samenspende erklärt sie, dass ihr das biblische Onanieverbot als „weise“ erscheine.
„Halbwesen“ und Nationalsozialismus-Vergleich
Das ist mindestens kleingeistig und ressentimentgeladen. Menschenverachtend und reaktionär ist Lewitscharoffs Vergleich der modernen Reproduktionsmedizin mit dem Rassenwahn der Nationalsozialisten. „Angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen Männern zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor.“
Lewitscharoff weiß genau was sie hier sagt. Betont noch „ich übertreibe, das ist klar“ den unsäglichen Vergleich zieht sie trotzdem – und spricht im nächsten Satz Kindern, die auf dem Weg der künstlichen Befruchtung gezeugt wurden, das Menschsein ab: Sie sei geneigt, „Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas“, so Lewitscharoff. Grausame Vergleiche drängen sich da auf.
Dresdner Schauspielhaus distanziert sich von Lewitscharoff
Die öffentliche Empörung über die Rede ist berechtigt, denn sie ist kein heimlich belauschtes Gespräch am Kneipentisch – das alleine wäre schon ein Skandal. Es ist der ausgefeilte, wohlüberlegte, mündlich gehaltene und schriftlich abgegebene Vortrag einer Büchner-Preis-Trägerin. Das Dresdner Schauspielhaus hat sich in einem offenen Brief von der Rede distanziert. Robert Koall, Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden erklärt darin, dass Lewitscharoff ein „beängstigendes Menschenbild“ habe.
Streitlust und unbequeme Haltungen könne ein Theater aushalten, erklärt er. Aber: „Wenn die Würde der Menschen angetastet wird, kann das nicht unwidersprochen geschehen.“ Lewitscharoff sei als Schriftstellerin in der Sprache zuhause. „Eine Unschuldsvermutung gibt es für Sie in diesem Fall kaum.“ Koall unterstreicht: „Es gibt einen Punkt, der die Dresdner Rede vom 2. März gefährlich macht. Das ist das Tendenziöse, die Stimmungsmache, das tropfenweise verabreichte Gift.“
Das Gift bleibt trotz Entschuldigung
Dieses Gift weicht nicht aus der Rede, wenn Lewitscharoff am 7. März im ZDF-„Morgenmagazin“ erklärt, dass sie den Satz, in dem sie über künstliche Befruchtung Gezeugte als „Halbwesen“ bezeichnet, zurücknimmt. Tags zuvor hatte sie der FAZ erklärt, dass sie nichts zurücknehmen möchte. „Darf ich in einer Rede nicht sagen, was ich denke?“, fragte sie. Heute, erneut angesprochen auf ihre Formulierung „Halbwesen“ sagt sie im ZDF: „Ich möchte den Satz gern zurücknehmen.“ Zu scharf sei er ausgefallen. Nur den Satz allerdings. Vom Rest ihrer Rede distanziert sich Lewitscharoff nicht.
Klaus Stack, der Präsident der Akademie der Künste erklärt: „Wir weisen den menschenverachtenden Ton und Gestus der Dresdener Rede von Sibylle Lewitscharoff aufs Schärfste zurück.“ Der Lesben- und Schwulenverband reagierte ebenfalls schockiert und der Suhrkamp Verlag distanziert sich ebenfalls von seiner Autorin, wie Spiegel Online berichtet. Ähnliche Reaktionen würde man sich auch von Institutionen wie der Akademie für Sprache und Dichtung wünschen, die Lewitscharoff im letzten Jahr mit dem Büchner-Preis auszeichnete.
„Nicht auszuhalten, dass Sie Menschen Halbwesen nennen“
Lewitscharoffs Text ist voller Verachtung. So kann die Schriftstellerin es gerade noch ertragen, dass ein zusammenlebendes heterosexuelles Paar als letztes Mittel die künstliche Befruchtung wählt. Für homosexuelle Paare mit Kinderwunsch hat sie kein Verständnis. Greift ein lesbisches Paar, auf eine Samenspende zurück, ist ihre diese „Selbstermächtigung der Frauen“ erklärtermaßen „zutiefst suspekt“. Leihmutterschaft sei gar eine „wahrhaft vom Teufel ersonnene Art, an ein Kind zu gelangen“.
Der Hanser-Verleger und Autor Jo Lendle veröffentlichte heute in der Online-Ausgabe der „Zeit“ einen offenen Brief an Lewitscharoff. Er schreibe als Onkel eines Jungen, der zwei Mütter habe, erklärt er. „Es ist für mich nicht auszuhalten, dass Sie Menschen wie ihn Halbwesen nennen“, schreibt Lendle weiter. „Ich ertrage es nicht. Dieses Denken, diese Sprache und ihre Tradition sind mir fremd.“
Koall hat es treffend formuliert: „Ihre Worte sind nicht harmlos, Frau Lewitscharoff. Aus falschen Worten wird falsches Denken. Und dem folgen Taten. Deshalb sind es gefährliche Worte.“
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.