Kultur

Blick zurück nach vorn

von Die Redaktion · 4. Oktober 2007
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Vor zwei Jahren wurde nachverhandelt: Die katalanische Landesregierung saß mit Spaniens Bundesregierung am Tisch, um das 25 Jahre alte "Autonomiestatut" der Region aufzufrischen. Es ging um bedeutende Kompetenzen, erhebliche Summen, insgesamt um eine größere Eigenständigkeit. Die zäheste und lauteste Debatte wurde allerdings um ein einziges Wort geführt: Nation. Die Katalanen wollten ihr Land in der Präambel partout Nation nennen; die Vertreter aus Madrid wollten den Begriff partout für Spanien reservieren. Schließlich bastelte man eine haarsträubende Formel zusammen, derzufolge Katalonien eine Nationalität sei, die allerdings die Katalanen selbst als Nation empfänden.

Im Widerstand trafen sich Linke und Katalanisten

Der gefühlte Nationalismus ist in Katalonien tatsächlich sehr stark. Die "Diskurshoheit" liegt seit Francos Tod in den Händen der Regionalisten. Der Diktator hatte die katalanische Kultur und Sprache knapp 40 Jahre lang unterdrückt. Im Widerstand trafen sich Linke und Katalanisten. Viele waren beides. Jedenfalls trug der örtliche Nationalismus von nun an auch ein progressives Gesicht - und bis heute hat er das nicht wirklich abgestreift.

Das katalanische Kulturinstitut Ramon Llull etwa befindet sich zur Zeit in den Händen der linksnationalistischen Partei ERC, deren Führer beständig so tun, als seien Katalanen und Spanier zwei grundverschiedene Sorten Mensch. Das hatte auch Auswirkungen auf die Buchmessen-Kampagne: Katalanische Schriftsteller, die ihre Bücher nicht im regionalen Idiom, sondern auf Spanisch verfassen, wurden bei der Zusammenstellung des offiziellen Programms ausgegrenzt. Dass dabei einige der bekanntesten Autoren der Region außen vor blieben, Eduardo Mendoza und Enrique Vila-Matas zum Beispiel - einerlei.

Auf dem Schulhof dominiert das ¢castellano¢

Zweifellos eine intolerante Geste. Womöglich allerdings sind die Katalanen

gezwungen, der sprachlichen Toleranz Grenzen zu setzen. Denn gäbe es keine Bevorzugung des Katalanischen, dann wäre es um die Sprache schon bald sehr schlecht bestellt. Bereits jetzt werden in Barcelona weniger als die Hälfte aller Gespräche auf català geführt. Und obwohl der Schulunterricht in der Regionalsprache abgehalten wird, dominiert auf dem Schulhof das castellano. So schrumpft der regionale Wortschatz beständig.

Auch die zeitgenössischen Schriftsteller können da nur begrenzt gegensteuern. Im Zweifelsfall folgen sie eher dem fatalen Trend und schreiben betont nüchtern wie Quim Monzó. Wer dagegen alle sprachlichen Register zieht klingt vorgestrig, wie z. B. Baltasar Porcel.

Die progressive Kehrseite des Nationalismus

An den Worten aber hängt eine Kultur mit langer und eigenständiger Geschichte. Nur fehlten stets die Staatsgrenzen. Im Mittelalter war Barcelona die Hauptstadt eines kleinen mediterranen Imperiums. Im 19. Jahrhundert begann von Katalonien aus Spaniens industrielle Revolution. Keine andere Region des Landes hat sich stärker für Einflüsse aus Europa geöffnet. Das ist - früh schon - die wahrhaftig progressive Kehrseite eines Nationalismus gewesen, der mitunter zu Recht das kosmopolitische Barcelona gegen das provinzielle Madrid ausspielte.

Diese Frontlinien gelten nicht mehr. Trotzdem hat der Ruf als "Hipcity", den Kataloniens Metropole mit der Olympiade 1992 errang und seitdem mühelos verteidigt, noch immer mit dem speziellen Selbstbewusstsein der Katalanen zu tun. Für sie ist Barcelona die Hauptstadt einer Nation - und wird eben entsprechend positioniert. Wahrscheinlich verfolgt man mit der Sprache eine vergleichbare Strategie. Man rüstet sie mit nationalistischer Rhetorik auf, damit sie ordentlich bei Kräften bleibt. Nur wird diese Strategie immer zwiespältig bleiben.

Kreuzug für eine an den Rand gedrängte Kultur

Abzuwarten bleibt, wie die Buchmesse auf die Kraftanstrengungen des Gastlandes Katalonien reagiert, das mit viel Geld und großen Worten einen Kreuzzug für seine unglücklich an den Rand gedrängte Kultur unternimmt: Dient die mächtige Schriftsteller-Staffel in Frankfurt nicht vor allem einer patriotischen Inszenierung?

Merten Worthmann

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