Kultur

„Bis wir tot sind oder frei“: Was ist Freiheit?

Ein Ausbrecherkönig und eine Anwältin. Das könnte der Stoff für eine kitschige Romanze sein. Oder es ist der Rahmen für eine sehenswerte Parabel über die Freiheit – wie im Film „Bis wir tot sind oder frei“.
von Kai Doering · 31. März 2022
Gemeinsam auf der Suche nach Freiheit: Walter Stürm (Joel Basman) und Barbara Hug (Marie Leuenberger)
Gemeinsam auf der Suche nach Freiheit: Walter Stürm (Joel Basman) und Barbara Hug (Marie Leuenberger)

Was bedeutet es, frei zu sein? Die Frage stellt sich in diesen Tagen, in denen mitten in Europa ein brutaler Krieg tobt, nicht nur für die Menschen in der Ukraine. Reicht es etwa, für die Freiheit, „auch einmal“ zu frieren, wie es Alt-Bundespräsident Joachim Gauck von den Deutschen fordert? Auf ganz persönlicher Ebene nähert sich dem Film „Bis wir tot sind oder frei“ dem Freiheitsbegriff – und doch schneidet Regisseur Oliver Rihs die großen gesellschaftlichen Fragen an.

Das antiquierte Schweizer Rechtssystem umkrempeln

Die Schweiz in den frühen 1980er Jahren. Die sogenannten Opernhauskrawalle erschüttern die Hauptstadt Zürich. Nachdem der Stadtrat einen hohen Kredit zur Restaurierung des Opernhauses bewillig, Forderungen nach alternativen Kulturangeboten jedoch abgelehnt hat, geht die Zürcher Jugend auf die Straße. Es kommt zu Ausschreitungen, Verhaftungen. Auch in anderen Städten kocht der Widerstand hoch.

Die Krawalle bilden den realen Hintergrund für die Handlung von „Bis wir tot sind oder frei“. Die linke Anwältin Barbara Hug (Marie Leuenberger) und ihr Anwaltskollektiv haben es sich zur Aufgabe gemacht, straffällig gewordene Jugendliche vor dem Gefängnis zu bewahren. Ihr eigentliches Ziel ist es, das antiquierte Schweizer Rechtssystem umzukrempeln und zu erneuern. Vorbild sind linke deutsche Anwälte wie Otto Schily oder Hans-Christian Ströbele.

Im Gerichtssaal liefert sich Barbara Hug ein Wortgefecht mit Staatsanwalt Peter Rothenburg (Anatole Taubman). „Was soll das sein, Menschenrechte?“, fragt er. „Wir sind hier in der Schweiz, das ist der solideste Rechtsstaat der Welt. Hier gilt das Schweizer Gesetz und nichts anderes.“ Hug wirft ihm daraufhin vor, die gesamte Schweiz zu einem Gefängnis zu machen.

Ikone der Linken wider Willen

Nach einem gewonnenen Prozess trifft Hug auf einer Parkbank den Kriminellen Walter Stürm (Joel Basman). Der ist gerade mal wieder aus dem Gefängnis ausgebrochen und übergibt der Anwältin seine Gerichtsakte, die sie nutzt, um über die Presse Missstände in den Schweizer Gefängnissen anzuprangern. Als Stürm nach einem gescheiterten Banküberfall wieder im Gefängnis landet und dort in Isolationshaft gesteckt wird, kämpft Hug um seine Freilassung – und gegen Methoden, die sie als Folter brandmarkt. Mehr und mehr wird der unpolitische Stürm so wider seinen Willen zu einer Ikone der linken politischen Bewegung.

„Bis wir tot sind oder frei“ basiert auf wahren Personen und Begebenheiten. Walter Stürm hat in der Schweiz den Status eines Robin Hood, da er stets darauf bedacht war, die Opfer seiner Überfälle nicht zu verletzen. Legendär sind zudem seine diversen Ausbrüche aus verschiedenen Gefängnissen. Doch der Film ist kein „Biopic“. Regisseur Oliver Rihs geht vielmehr den großen Fragen nach: Was ist Menschenwürde? Was ist wichtig im Leben? Und wann ist man wirklich frei?

Freiheit ist das, was man sich nimmt

Denn auch Anwältin Barbara Hug ist eine Gefangene. Nachdem in früher Kindheit ein Tumor bestrahlt werden musste, ist sie auf einen Gehstock angewiesen und muss regemäßig an die Dialyse. Der Rhythmus des lebenserhaltenden Geräts bestimmt ihr Leben. Eine Spenderniere könnte Abhilfe schaffen, doch Hug schlägt mehrfach die rettende Operation aus. So jagen sie und Stürm gemeinsam der Frage nach, was Freiheit wirklich bedeutet. Hugs bittere Erkenntnis, nachdem sie und Stürm sich nach dessen Flucht in Spanien erst näher gekommen sind, er sie dann aber im Streit auf die Straße gesetzt und sich der Polizei gestellt hat: „Die Menschen wollen gar nicht frei sein. Eine gescheite Diktatur ist vielleicht doch das Beste für uns.“

14 Jahre später, Stürm ist wieder aus dem Gefängnis entlassen worden, treffen sich die beiden noch einmal in Hugs Wohnung. Ein langes Gespräch findet nicht statt. Als Hug ins Bad geht, um ihre Schmermittel zu nehmen, verschwindet Stürm und hinterlässt nur einen Zettel. „Was ist dir mitteilen wollte“, steht darauf, „Freiheit ist das, was man sich nimmt. Und, dass auch du dir deine Freiheit nehmen solltest.“ Am Ende werden beide diesem Rat folgen – jeder auf seine Art.

Bis wir tot sind oder frei, Regie: Oliver Rihs, Schweiz 2020, 117 Minuten, ab 31. März im Kino

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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