Kultur

Beyond Punishment: Auf ein Wort mit dem Mörder

Drei Morde, drei Familien und drei Länder: Der Dokumentarfilm „Beyond Punishment“ erzählt davon, wie Gewalttäter und Hinterbliebene miteinander ins Gespräch kommen, um einen schrecklichen Verlust zu verarbeiten.
von ohne Autor · 12. Juni 2015

Ewig locken Schuld und Sühne: Bei keinem anderen Thema prallen die Untiefen der menschlichen Psyche und die verzweifelten Versuche der von Menschen geschaffenen Zivilisation, damit umzugehen, so krass aufeinander. Ein Thema, dass auch die Kulturproduktionen immer wieder befeuert. Wie geht eine Gesellschaft mit Mördern und anderen Gewalttätern um? Wie leben die Hinterbliebenen von Mordopfern nach und mit der traumatischen Erfahrung? Und was geht eigentlich in dem Täter oder der Täterin vor?

Um diese Fragen geht es auch in „Beyond Punishment“. Autor, Regisseur und Produzent Hubertus Siegert behandelt sie allerdings mit einem ungewohnten Ansatz. Für ihn steht jeder Mord für einen Konflikt zwischen dem Täter auf der einen und dem Opfer und den Trauernden auf der anderen Seite. Durch die Inhaftierung werden die Hinterbliebenen und der Mörder aber daran gehindert, den Konflikt auszutragen und zu lösen.  „Je stärker das Strafbedürfnis, desto mehr Gewalt ist unbewältigt und desto gewalttätiger ist eine Gesellschaft“, sagt Siegert. Das Wissen um die Hintergründe einer Bluttat aus der Sicht des Schuldigen würde den Angehörigen helfen, den gewaltsamen Tod eines lieben Menschen anzunehmen und vielleicht sogar dazu befähigen, Vergebung zu üben, so seine Lesart.

Gelöste Knoten

„Beyond Punishment“, zeigt individuelle und institutionell geförderte Wege hin zu diesem Ziel. Die Beispiele aus den USA, Norwegen und Deutschland machen deutlich, wie unterschiedlich die Strafjustiz in jeden Ländern tickt. Dabei sind einige Überraschungen zu erleben. Ausgerechnet in den Vereinigten Staaten, wo Mörder jahrzehntelang weggesperrt oder hingerichtet werden, wurde ein Projekt aus der Taufe gehoben, dass die Knoten zwischen Opfern und Täter lösen soll. Letztlich diente es Siegert als Inspiration für seinen Film.

Auch das einschüchternde Hochsicherheitsgefängnis im Bundesstaat Wisconsin diente einst vor allem dazu, die Verurteilten – an diesem Ort meist Afroamerikaner – möglichst lange und möglichst total von der übrigen Gesellschaft abzuschotten. Seit 1997 gibt es dort ein psychosoziales Lernprogramm für die Inhaftierten. Als Höhepunkt finden im Sinne einer „Restorative Justice“ Gesprächsrunden zwischen Hinterbliebenen und Tätern statt, wenn auch nicht zwischen denen, die ein konkreter Mordfall verbindet. In einer dieser Runden treffen wir auf Leola und Lisa. Sieben Jahre zuvor war ihr Sohn und Bruder von einem jungen Mann aus der Nachbarschaft in der New Yorker Bronx erschossen worden. Noch immer warten die Frauen darauf, dass der Mörder endlich alles zugibt, um mit dem Verlust ins Reine zu kommen. Eben dafür bleiben dem Verurteilten hinter Gittern 40 Jahre Zeit.

Ganz andere Verhältnisse dagegen in Norwegen. Dort kommen Mörder nach vergleichsweise wenigen Jahren wieder auf freien Fuß. So auch Stiva, der seine 16-jährige Freundin aus Eifersucht erschossen hatte. Schon bei seinen Hafturlauben fühlte sich Erik, der Vater des Opfers, nicht mehr sicher – eine Folge der traumatischen Erfahrung, sein Kind vor der Tat nicht bewahrt zu haben. Als die Entlassung naht, wächst Eriks Angst. Gleichzeitig bauen die beiden über Videobotschaften den Kontakt auf. Werden sich die beiden am Ende doch noch treffen, um zu reden?

Quälende Fragen

Vom Bedürfnis der Hinterbliebenen, das Schweigen über die Hintergründe des Mordes zu brechen, um die quälende Ungewissheit zu überwinden, erzählt das Beispiel Patrick von Braunmühls. Sein Vater Gerold von Braunmühl, ein hoher politischer Beamter im Auswärtigen Amt, war 1986 von der RAF erschossen worden. Bis heute ist unbekannt, wer die tödlichen Schüsse abgefeuert hat. Klarheit erhofft sich der Sohn von einem Treffen mit einem früheren RAF-Mitglied, das Siegert mit der Kamera begleitet. Aber auch dieser Fall offenbart die Grenzen der Annäherung. Diese äußern sich nicht zuletzt in gleichsam unverblümten wie bewegenden Äußerungen der Opferseite. „Statistisch gesehen, ist es unwahrscheinlich, dass Stiva mir etwas antut“, sagt Erik über ein Treffen mit dem Mörder seiner Tochter. „Die Statistik sprach aber auch dagegen, dass er Ingrid-Elisabeth umbringt.“ Nicht weniger erschütternd und schonungslos sind manche Selbstauskünfte der Täter.

Wann ist Vergebung möglich? Diese Frage versucht der gerade dank seiner behutsamen Inszenierung so wirkungsvolle Film, der beim diesjährigen Max-Ophüls-Wettbewerb uraufgeführt wurde und den Preis als Bester Dokumentarfilm gewann, gar nicht erst zu beantworten. Anhand dreier völlig verschieden gelagerter Fälle wird aber klar, wie die ersten Schritte auf diesem Weg aussehen könnten.


Info: Beyond Punishment (Deutschland 2015), ein Film von Hubertus Siegert, 98 Minuten. Ab sofort im Kino

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