Kultur

„Beutekunst“ in Berlin: Warum Aktivisten das Humboldt-Forum stoppen wollen

Es ist eines der teuersten Kulturprojekte Deutschlands – und hoch umstritten: das Berliner Humboldt-Forum. Kritiker gehen jetzt hart ins Gericht mit dem Millionenbau im Herzen der Hauptstadt. Ihre Vorwürfe reichen von Raub bis Rassismus.
von Paul Starzmann · 11. Dezember 2017
Humboldt-Forum
Humboldt-Forum

Beim Wort „Beutekunst“ denken die meisten wohl an die Nazi-Zeit – an geraubte Gemälde, Skulpturen und Schmuck, deren jüdische Besitzer eingesperrt wurden, deportiert, millionenfach ermordet. Tauchen solche Gegenstände heute irgendwo auf, sind sich alle einig: Ihre Herkunft muss geklärt, die Kunstwerke müssen sofort an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden. Jetzt zeigt allerdings ein neues Buch, wie „Beutekunst“ in deutschen Museen noch immer für Streit sorgen kann.

Ethnologische Sammlung: Kunst aus aller Welt

In dem Sammelband mit dem Titel „No Humbodt 21!“ geht es um das Humboldt-Forum, für das Bund, Land und private Spender für knapp 600 Millionen Euro das sogenannte Berliner Stadtschloss wiederaufbauen. Mitten in der Hauptstadt wird dabei eine historische Fassade aus vordemokratischer Zeit errichtet. Dahinter will die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) ab 2019 ihre „ethnologische Sammlung“ ausstellen – Gemälde, Skulpturen und Schmuck aus aller Welt.

Doch dagegen richtet sich Widerstand, der nun in dem neuen Buch dokumentiert wird. Aktivisten, Politiker und Wissenschaftler erklären darin, warum sie das ganze das Vorhaben am liebsten abblasen würden – obwohl der Rohbau fertig ist, das millionenschwere Gebäude längst steht.

Alexander von Humboldt: Mitbegründer der „Rassenkunde“

Für den Kulturwissenschaftler Kien Nghi Ha ist der Wiederaufbau des barocken Stadtschlosses ein „ästhetisch-städtebaulicher Backlash zugunsten des Preußentums“. Dass das Gebäude nach dem Forscher Alexander von Humboldt benannt wird, mache die Sache nicht besser. Humboldts Arbeit habe zur Etablierung der „Rassenkunde“ beigetragen, schreibt Ha. Die diente während der Kolonial- und Nazizeit als Legitimierung von Diskriminierung, Gewalt und Massenmord.

Doch solche Fakten würden im Humboldt-Forum nicht ausreichend thematisiert, kritisieren die Herausgeber des Buches. Vor allem nicht, wenn es um die 500.000 Ausstellungsstücke gehe, die bald in das neue Museum einziehen sollen. Vieles davon sei Raubgut aus der Kolonialzeit, so der Vorwurf. Die Forderung: Statt Vitrinen damit zu bestücken, müsse die „Beutekunst“ an die Nachfahren der Eigentümer zurückgegeben werden.

Hierarchien wie zu Kolonialzeiten

Davon wollten die Verantwortlichen des Humboldt-Forums allerdings nichts wissen, kritisiert die Politologin Lilia Youssefi. Vertreter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zögen die Forderung nach Rückgabe der strittigen Objekte sogar ins Lächerliche, nähmen die Nachfahren der Kolonialopfer nicht ernst. Zugleich betone die Stiftung, wie weltoffen das neue Museum, wie kulturell vielfältig der Kreis der Mitarbeiter doch sei. Youssefi hält dagegen: „Auf der Leitungsebene oder als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen sind jedoch ausschließlich weiße Europäer*innen beteiligt.“ Soll heißen: Im Museumsbetrieb seien die Hierarchien heute noch wie damals zu Kolonialzeiten.

Das Urteil der Herausgeber über das Humboldt-Forum ist entsprechend hart: „Die Kulturen der Welt werden als ‚fremd‘ und ‚anders‘ diskriminiert“, heißt es über die geplanten Ausstellungen. „Wir lehnen diese herabsetzende Präsentation ab.“ Lieber gar keine Ausstellung als eine falsche, so das Credo der Humboldt-Kritiker.

Kulturpolitik ist mehr als eine Spielerei

Ihr Buch macht deutlich, dass der Streit um das neue Museum mehr ist als eine Auseinandersetzung innerhalb der Berliner Kulturszene. Der Band versammelt viele kluge, sehr gut recherchierte Texte, ergänzt durch aufwendig gestaltete Illustrationen. Lesenswert sind die Beiträge vor allem, weil alle Autoren eine spezielle Sicht der Dinge bieten: eine originelle und kritische Perspektive auf die deutsche Kulturpolitik – jenseits der Meinungen konservativer Kuratoren und fachfremder Feuilletonisten. Der Sammelband zeigt, dass Kulturpolitik mehr ist als eine bildungsbürgerliche Spielerei. Dass auch in den Museen die wichtigen politischen Fragen unserer Zeit verhandelt werden – von gerechter Teilhabe über Migration bis hin zu Rassismus. Vor allem aber wird in dem Buch eines klar: dass sich die Zukunft unserer Gesellschaft daran entscheidet, wie wir mit der Erinnerung an unsere Vergangenheit umgehen.

AfricAvenir International (Hrsg). No Humboldt21! Dekoloniale Einwände gegen das HumboldtForum, AfricAvenir, ISBN 978-3-946741-03-9, 198 Seiten, 14 Euro.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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