Kultur

Bestandsaufnahme des modernen Feminismus

„Mauern einreißen“ lautete das Motto des fünften Barcamp Frauen in Berlin im Jahr des 25. Mauerfalljubiläums. Was die frauenpolitische Veranstaltung mit dem Ende der DDR gemeinsam hat? Den Ruf nach Freiheit und Selbstbestimmung.
von Marisa Strobel · 12. Oktober 2014
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Passen Prostitution und Feminismus zusammen? Folgt man dem Grundtenor der Berichterstattung in Deutschland, lautet die deutliche Antwort nein. Die vermeintliche Vorzeige-Feministin Alice Schwarzer und die von ihr gegründete Frauenzeitschrift „Emma“ haben im Oktober 2013 gar einen Appell gegen Prostitution ausgerufen. Binnen weniger Wochen unterschrieben mehr als 10.000 Menschen die Forderung nach einem „effektiven Gesetz gegen Prostitution“. 

Der Barcamp-Workshop „Prostitution und Feminismus“ aber zeichnet ein ganz anderes Bild von Sexarbeit, eines, das wenig gemein hat mit Schwarzers Darstellung einer Unterwelt voll Menschenhandel, Zwang und Entwürdigung der Frau. Die Leiterinnen des Workshops stellten klar: Es gibt sie wirklich, die freiwillige Prostitution. Und nein, Sexarbeiter_innen sind nicht automatisch fremdbestimmt. „Man muss sich von dem Bild verabschieden, dass Männer die Frauen im Bordell ‚pflücken‘. Die Frauen entscheiden selbst, ob sie einen Kunden annehmen oder nicht“, erklärt Fabienne Freymadl vom Berufsverband Sexarbeit. 

„Sexualität ist Teil unserer Freiheit“

„Früher waren wir die Schänder der bürgerlichen Moral, heute sind wir die Lobbyisten für Menschenhandel“, resümiert Pieke Biermann die öffentliche Meinung. Die ehemalige Sexarbeiterin und Buchautorin betont: „Uns geht es darum, die Freiheit derer zu erweitern, die mit Sexarbeit ihr Geld verdienen WOLLEN.“ Eine Teilnehmerin aber fragt sich, ob Prostitution in einer feministischen Gesellschaft überhaupt noch einen Platz hat. Biermann dagegen ist sich sicher: Hätten Frauen so viel Geld wie Männer, gäbe es auch mehr Freierinnen. „Sexualität ist Teil unserer Freiheit und Prostitution eine Art, den Sex zu inszenieren“, so Biermann.

Wie moderner Feminismus aussieht und welche Bereiche alle dazu gehören können, das war auf dem diesjährigen Barcamp Frauen in der Kalkscheune in Berlin immer wieder Thema. Was ist sexpositiver Feminismus und gibt es einen Dresscode für Feministinnen? Wie in den vergangenen Jahren kamen auch 2014 wieder um die 180 Teilnehmer_innen, darunter zunehmend auch Männer, um über Gleichstellung und Feminismus zu diskutieren. Die Organisatorinnen rund um Nancy Böhning haben zudem im Vorfeld nach prägenden Rollenbildern gefragt. 

Auf Alltagsdiskriminierungen aufmerksam machen

Eine Frage, der Sandrine Micossé-Aikins („Körperpolitik und Rassismus“) und Pinkstinks („Sexismus in der Werbung“) in ihren Workshops ausführlicher nachgingen. Fehlende Vor- und falsche Rollenbilder, sowohl geschlechts- als auch hautfarbendiskriminierend, wurden hier kritisiert. Das Team von Pinkstinks ruft deshalb online dazu auf, sich an der Petition gegen geschlechtsdiskriminierende Werbung zu beteiligen, damit diese per Gesetz verboten wird. Jamie Schearer stellte in diesem Zusammenhang das Projekt gegen Alltagsrassismus #SchauHin vor.

Fehlende Vorbilder wurden auch in der Arbeitswelt bemängelt. Nach konkreten Problemstellungen und Lösungsvorschlägen fragten deshalb Ricarda Scholz und Hanna Wolf im Workshop „Vereinbarkeit von Arbeit und Leben – aber wie finanzieren?“. Beide arbeiten beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) an Gleichstellungsprojekten, Scholz im Projekt „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit!“, Wolf im Projekt „Vereinbarkeit von Familie & Beruf gestalten“, und wollen Bedürfnisse und Wünsche in ihre Projekte mit einfließen lassen. 

Bemängelt wurden hier vor allem fehlende finanzielle Förderung von ehrenamtlichen Tätigkeiten sowie einer noch zu unflexiblen Arbeitswelt. „Weg von der Herdprämie hin zur Ehrenamtsprämie“, forderte deshalb Teilnehmerin Claudia. Zudem kritisierten einige Teilnehmer_innen die mangelnde Akzeptanz von Männern in Elternzeit gerade durch den Arbeitgeber. Hier drohten nicht selten eine Verweigerung seitens des Arbeitgebers bis hin zur Kündigung des Arbeitnehmers. Dadurch aber würden Frauen automatisch in eine längere Auszeit gezwungen, auch wenn sie diese gar nicht wollten. Die Fülle an spannenden Workshops – circa 18, verteilt auf drei Sessions – zeigt: Das Themenfeld auf dem Barcamp ist breit gefächert, und es gibt noch viel zu diskutieren, gerade im Bereich Arbeitswelt. Ein möglicher Schwerpunkt für das Frauenbarcamp 2015 ist deshalb schon gefunden: Frauen und Arbeit.

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Autor*in
Marisa Strobel

ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.

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