Bei allen globalen Fortschritten: Den Hunger hat die Weltgemeinschaft noch nicht in den Griff bekommen. Rund 25.000 Menschen, darunter 11.000 Kinder, sterben täglich an Unterernährung. Der in Indien geborene und bis zu seiner Emeritierung in Hannover lehrende Erziehungswissenschaftler Asit Datta liefert Ansichten und Einsichten zu einem beklemmenden Thema.
Für den Hunger in der Welt gibt es viele Gründe. Professor Datta führt sie alle auf – Kriege und Bürgerkriege, der Klimawandel, das Wachstum der Weltbevölkerung, Handelsbeziehungen, die starke Staaten begünstigen, sind wohl die wichtigsten.
Der Freihandel als Fortschrittsbremse
Doch er gewichtet und stellt fest: Der Freihandel, den US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel gerade gewaltig ausbauen wollen, hat für zahlreiche Dritte-Welt-Staaten fatale Folgen. Er „ermöglicht den Industriestaaten, vor allem USA und EU, ihr subventioniertes überschüssiges Getreide und die Nahrungsmittel zu billigen Dumpingpreisen an ärmere Länder zu verkaufen“. Die Konsequenz: Die Bauern in der Dritten Welt werden ihre Produkte nicht los – und hungern.
Datta widerlegt in diesem Zusammenhang den englischen Denker Thomas Robert Malthus, der sich nach der Französischen Revolution zum Fürsprecher der Reichen und Privilegierten der Londoner Society aufschwang und „nachwies“, dass jegliche Hilfe für die Armen diese nur ermuntere, sich über die natürlichen Ressourcen des Landes hinaus zu vermehren. Vom hemmungslosen „Schnackseln“ sprach im selben Zusammenhang vor fünf Jahren die deutsche Fürstin Gloria von Thurn und Taxis.
Datta führt dagegen die dänische Ökonomin Ester Boserup an: „Wissenschaftlich fundiert, historisch und empirisch belegt weist sie nach, dass das Bevölkerungswachstum auf die technologischen Veränderungen landwirtschaftlicher Produktionsweise Einfluss nimmt und nicht – wie Malthus annahm – umgekehrt.“ Wenn es mehr Menschen gibt, sorgen sie auch für höhere landwirtschaftliche Produktivität.
IWF und Weltbank
Datta sucht eine Alternative zur globalen Marktwirtschaft, die unter der Ägide der „heimlichen Herrscher“ Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank stehe. Er erinnert an die vor 20 Jahren aufgelegte und immer noch bahnbrechende Studie des Wuppertal-Instituts, das mit dem Slogan „Besser leben, statt mehr haben“ die die internationale Diskussion nachhaltig beeinflusste. Quintessenz: Nachhaltiger wirtschaften, in der Summe weniger verbrauchen, aber, eben, besser leben.
Brasilien nimmt er als prototypisch: „Menschen hungern nicht, weil es zu wenig Nahrungsmittel im Land gibt, sondern weil die Hungernden keinen Zugang dazu haben. Brasilien ist ein reiches Land, der Abstand zwischen Arm und Reich ist jedoch seit jeher enorm.“
Asit Datta: „Armutszeugnis. Warum heute mehr Menschen hungern als vor 20 Jahren“, dtv München 2013, 218 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-423-24983-6
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.