Kultur

Berlinale-Empfang der SPD: Risse in der Gesellschaft sichtbar machen

Der französische Film „Der Himmel wird warten“ erzählt von der Radikalisierung junger Frauen durch den sogenannten „Islamischen Staat“. Bei „Cinema meets Politics“, dem Berlinale-Empfang im Willy-Brandt-Haus, diskutierten Filmemacher und Politiker, wie politisch Film sein kann und muss.
von · 14. Februar 2017
Kanzlerkandidat Martin Schulz ist überzeugt: Filme können Risse und Abgründe in unserer Gesellschaft sichtbar machen
Kanzlerkandidat Martin Schulz ist überzeugt: Filme können Risse und Abgründe in unserer Gesellschaft sichtbar machen

Einmal im Jahr verwandelt Berlin sich in ein einziges großes Kino – zumindest fühlt es sich so an. Pünktlich zur Berlinale sieht selbst der graue Berliner Winterhimmel so aus, als sei er in Wahrheit eine Filmkulisse. Eine Stimmung, der sich auch die Politik nicht entziehen kann: Einmal im Jahr erstrahlt das Willy-Brandt-Haus (WBH) in rotem Licht, rollt man dort den roten Teppich aus und lädt zum Filmabend mit Filmschaffenden und Politikern. So auch 2017.

Film als Beitrag zur politischen Bildung

Beim SPD-Branchenempfang „Cinema meets Politics“ am frühen Montagabend soll es um das Thema gehen: „Kann Kino Augen öffnen? – Film und Regie in Zeiten von Terror und Populismus“. Der Vorsitzende des SPD-Kulturforums, Thorsten Schäfer-Gümbel, diskutiert mit den Regisseuren Feo Aladag („Die Fremde“) und Burhan Qurbani („Wir sind jung. Wir sind stark“), wie politisch Film sein kann und muss. Aladag und Qurbani machen beide sogenanntes politisches Kino: Sie beobachten sehr genau, was in der deutschen Gesellschaft geschieht und schaffen daraus cineastische Geschichten.

Schäfer-Gümbel findet, dass solche Filme momentan mehr denn je gebraucht werden – er wünscht sich noch mehr Einmischung von Filmschaffenden in das politische Geschehen. Qurbani gibt zu, dass diese Frage auch branchenintern diskutiert wird. Für ihn geht es vor allem darum, die richtige Sprachen zu finden, um mit den Geschichten das Publikum zu erreichen: „So wie Björn Höcke in seiner jüngsten Rede gesprochen hat… diese Sprache hat man seit 1945 nicht mehr gehört“, sagt er. Qurbani warnt vor dem Vergessen – und fragt sich, wie die Gesellschaft einer Sprache wie der von Höcke etwas entgegensetzen, sie zurückerobern kann. Eigentlich, findet der Regisseur, müsse man montags in Dresden, Leipzig und Halle „Montagskino“ machen. Kino statt Demo. Aladag glaubt, dass Film einen wichtigen Beitrag zur politischen Bildung leisten kann: Wer einmal gelernt habe, Filme zu diskutieren, der könne sie „dekodieren“ und sei dann besser gerüstet, Gesehenes auch im Alltag einzuordnen und zu verstehen. Um dieser Rolle gerecht werden zu können, wünscht Aladag sich mehr Anerkennung für das Medium Film: „Die Politik bezieht den Film als Kulturgut zu wenig ein.“

Risse in der Gesellschaft sichtbar machen

Zumindest an diesem Abend aber gehen die Politik und das „Kulturgut Film“ eine erfolgreiche Symbiose ein. Im Atrium des WBH lädt Katarina Barley nach dem Empfang zur exklusiven Preview des französischen Films „Der Himmel wird warten“ von Marie-Castille Mention-Schaar („Die Schüler der Madame Anne“). Zum 14. Mal findet der SPD-Filmabend statt und gerade in Zeiten wie diesen, so Barley, sei es Aufgabe der Politik, junge Menschen an Kultur heranzuführen. Umgekehrt trage die Kultur ebenfalls Verantwortung. Das sieht der bekennende „Filmliebhaber“ Martin Schulz genauso. Filme, so der Kanzlerkandidat, öffnen die Augen „für Dinge, die wir oft nicht sehen“. Risse und Abgründe in unserer Gesellschaft würden so sichtbar: „Im Dunkeln wächst der Hass heran.“

So wie in „Der Himmel wird warten“. Die jungen Französinnen Mélanie (Naomi Amarger) und Sonia (Noémie Merlant) sind eigentlich ganz normale Teenager, die in liebevollen Familien aufwachsen, in der Mitte der Gesellschaft. Und doch radikalisieren beide sich, sind bereit, für den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) in einen vermeintlich heiligen Krieg zu ziehen. Die Hilflosigkeit von Eltern und Kindern, die gescheiterte Kommunikation und den Schmerz, all das zeigt „Der Himmel wird warten“ in ruhigen Bildern und mit viel Geduld. Der Film beantwortet die Frage nach dem „Warum?“ nicht, aber das ist auch gar nicht sein Ziel. Er will Augen öffnen – die Risse in der Gesellschaft sichtbar machen. Die beiden Hauptdarstellerinnen Naomi Amarger und Noémie Merlant erzählen im Gespräch nach der Filmpreview, dass ihnen ihre Charaktere zunächst sehr fremd vorkamen. Doch je mehr sie sich mit ihnen beschäftigten, desto mehr verstanden sie. Und das ist es letztendlich, was Kino leisten kann: zum Verständnis beitragen, Berührungspunkte schaffen. Roter Teppich hin, festliche Beleuchtung her.

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