Traditionell bereits einen Tag vor der Bärenverleihung des Berlinale-Wettbewerbs wurden am Freitagabend zum 28. Mal die Teddys verliehen, die queeren Filmpreise der Berlinale, die weltweit als bedeutendste Auszeichnung für LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans) -Filme gelten. Über deren Ausrichtung und Bedeutung hatten wir in dieser Woche bereits berichtet.
In den vergangenen Jahren war die Gala mehrmals umgezogen und hatte schon viele aufregende und beeindruckende Veranstaltungsorte – aber die Komische Oper war eine gelungene „runde Sache“ – der professionellen Bühnen- und Lichttechnik wegen, aber vor allem, weil tatsächlich alle ZuschauerInnen gleichermaßen die Zeremonie verfolgen konnten.
Jochen Schropp vom TV-Sender arte führte durch das fast dreistündige, jedoch an keiner Stelle langweilige Programm. Als Reminiszenz an den Teddy-Preisträger 2001 rockte Sven Ratzke als die neue „Hedwig“ & the angry inch) unter anderem in einer Hommage an Dusty Springfield, die in diesem Jahr 75 geworden wäre.
Dagmar Manzel kokettierte als Marlene Dietrich mit dem Orchester der Komischen Oper und Bariton Günter Papendell sandte mit der russischen Version von „Nur wer die Sehnsucht kennt“ des schwulen Nationalhelden Tschaikowskys zu Bildern des ebenso schwulen Regisseurs Sergei Eisenstein eine Solidaritätsadresse nach Russland – mit einer wehenden Regenbogenflagge am Mast des Panzerkreuzers Potemkin als Abschluss: ein schönes Bild!
Die Neuentdeckung des Abends war für uns jedoch Lucien Dante, ein junger Musiker und Wahl-Berliner aus Chicago, dessen Stimme und musikalische Lyrik am Klavier wie an der Gitarre verzaubert.
Natürlich lockt so eine Gala auch die politische Prominenz: Der Regierende Klaus Wowereit eröffnete mit seinem Grußwort die Gala – mitgebracht hatte er seinen Kollegen aus Paris, Bertrand Delanoë, der sich leider nur noch einen Monat im Amt befinden wird und bei der nächsten Wahl nicht mehr antritt, sowie Ole von Beust und Senatorin Dilek Kolat.
Nach der Preisverleihung gab es Tanz und weiteres Kulturprogramm in der Oper und parallel dazu bis weit in die Nacht die Teddy-Abschlussparty im neuen Schwuz in Neukölln.
Special Teddy Award
Zwei Ehrenteddys standen bereits vor dem Abend fest: es waren die Lebenswerk-Teddys für die Filmemacherin und Kamerafrau Elfi Mikesch sowie für den Filmemacher und Aktivisten Rosa von Praunheim, der aus gesundheitlichen Gründen ausgerechnet in diesem Jahr zuhause bleiben musste, dessen Lebenswerk aber in einer ebenso amüsanten wie persönlichen Laudatio von Panorama-Chef Wieland Speck gewürdigt wurde.
David Kato Vision & Voice Award
Der Teddy möchte neben der Ehrung für Filme auch immer den Fokus auf politische Entwicklungen und auf Aktivistinnen und Aktivisten der LGBT*-Bewegung richten. Zur Erinnerung an den 2011 ermordeten Menschenrechtsaktivisten David Kato aus Uganda (der Film Call me Kuchu über sein Leben und seinen Tod gewann 2012 den Teddy Award als beste Dokumentation) wurde ein neuer Preis ins Leben gerufen und erstmalig vergeben: der David Kato Vision & Voice Award.
Er wird von einem Komitee vergeben, das sich aus VertreterInnen verschiedener Menschenrechts- sowie LGBT*- und HIV-Organisationen zusammensetzt und ist mit 10.000 € dotiert.
Mit dem Preis soll „fortan jährlich eine Persönlichkeit geehrt werden, die sich im besonderen Maße für mutige Aktivitäten und herausragende Leistung beim Kampf um die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und intersexuellen Menschen verdient gemacht hat, insbesondere wenn sie mit einem Umfeld von Ablehnung, Ausgrenzung, Isolierung und Verfolgung konfrontiert ist.“
Der Preis ging an Sou Sotheavy aus Kambodscha, die auf uns in einem Einspielfilm noch wie ein 75jähriger Aktivist wirkte, der in Kambodscha eine Organisation für LGBT*-Menschen für Menschenrechtsarbeit und AIDS-Prävention ins Leben gerufen hat. Auf die Bühne kam die Transgender-Aktivistin dann deutlich sichtbar als Frau und erzählte in einer langen Dankesrede aus ihrem Leben. In den 24 Jahren, die wir nun schon die Teddy-Gala besuchen, waren dies die bewegendsten und anrührendsten Momente, an die wir uns erinnern können. Wie ein junges Mädchen jubelte Sou Sotheavy, riss immer wieder ihre Preisstatue in die Luft und freute sich wie eine Schneekönigin.
Sou Sotheavy wurde mit 14 Jahren aus ihrer Familie verjagt. Sie arbeitete zunächst als Prostituierte – erst, um zu überleben, später, um einen Realschulabschluss zu finanzieren. Unter dem Regime der Roten Khmer wurden ihr ihre langen Haare abrasiert, sie durfte keine Kleider mehr tragen und wurde dreimal ins Gefängnis und einmal in ein Umerziehungslager gesteckt. Dort wurde sie mehrfach vergewaltigt und misshandelt und schließlich mit einer unbekannten Frau zwangsverheiratet.
Doch nichts davon hat sie gebrochen. Die Jahre haben sich tief in sie eingegraben und sie trägt heute noch die körperlichen Narben, aber es hat sie, wie sie sagt, stark gemacht. Deshalb beteiligte sie sich an den Kriegsverbrecherprozessen gegen die Rote Khmer als Nebenklägerin gegen "Gender Based Crimes".
Eine würdige und sehr anrührende Preisträgerin und ein guter neuer Weg des Teddys, dem Gala-Publikum den politischen Blick über die Berlinale hinaus zu öffnen.
Sieger-Filme
Die Teddy-Jury bestand aus 9VertreterInnen queerer Filmfestivals weltweit. Sie vergab folgende Preise:
Bester Kurzfilm
Weil er uns „auf eine erzählerische wie auch persönliche Reise durch eine gefährliche Landschaft mitnimmt, in der Unsichtbarkeit ein unverzichtbarer Aspekt queeren Überlebens ist“ verlieh die Jury den Kurzfilmteddy an Mondial 2010 des libanesischen Regisseurs Roy Dibb aus der Forums-Sektion der Berlinale.Mit der Ästhetik eines Reisevideos erzählt der Film von einer Fahrt zweier Schwuler nach Ramallah.
Bester Dokumentarfilm oder filmisches Essay
Der Kreis von Stefan Haupt erzählt die Geschichte eines zunächst als Zeitschrift gestarteten und später in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg als Untergrund-Club geführten Schweizer Schwulenbewegung anhand des schüchternen Lehrers Ernst Ostertag, der sich dort 1956 in den Travestie-Star Röbi Rapp verliebt und gegen Verfolgung und staatliche Repression ankämpft. Mit den Mitteln filmischer Inszenierung sowie mit langen Interviews der beiden realen Vorkämpfer zeigt der Film den jahrzehntelangen Kampf einer ersten Emanzipations-Community.
Teddy Jury’s Special Jury Award
Den Spezialpreis der Jury erhielt Bruce LaBruce mit Pierrot Lunaire für seine „Erneuerung der klassischen Avantgarde durch Elemente der Musik, des Theaters und des Kinos.“
Wir haben den Film nicht gesehen – doch das Programmheft verrät: 2013 holt LaBruce seinen Pierrot Lunaire (die Vertonung eines Gedichtzyklus‘ von Albert Giraud durch Arnold Schönberg) auf die Straßen Berlins und verfilmt eine dunkle Geschichte der Sehnsucht, der Liebe und der Transgression. Der Soundtrack des Films ist Petroviçs Neuinterpretation von Schönbergs melodramatischem Musical, gesungen von Susanne Sachsse. Auf einer wahren Geschichte beruhend, ist LaBruces Pierrot Lunaire die angemessen radikale queercore-Version eines der innovativsten Stücke atonaler Musik.
Teddy für den besten Spielfilm
Bester Spielfilm wurde zu unserer Freude der brasilianische Hoje eu quero voltar sozinho (The Way He Looks)von Daniel Ribeiro, den wir bereits in unserem letzten Blog kurz vorgestellt hatten.
Die Jury würdigt ihn als ein „fröhliches Spielfilm-Debut eines Regisseurs, der ein großartiges Drehbuch, die Charakterisierung seiner Figuren, die Schauspielkunst, Kamera und Musik zu einem Film freisetzt, der aus dem bisherigen Coming-Of-Age-Genre herausragt, indem er dem Sprichwort „Liebe ist blind“ eine neue Bedeutung verleiht.
Weitere bereits bekannte Preise:
Panorama-Publikumspreis Spielfilm
Der brasilianische Teddy-Gewinner belegte auch beim renommierten Panorama-Publikumspreis den zweiten Platz.
Publikumsliebling wurde Difret von Zeresenay Berhane Mehari aus Äthiopien, einem Film über ein Land zwischen Tradition und Moderne am Beispiel der Anwältin Meaza Ashenafi, die in Addis Abeba ein Netzwerk gegründet hat, das mittellosen Frauen und Kindern kostenlosen Rechtsbeistand gewährt. Mutig setzt sie sich gegen alle Schikanen von Polizei und männlichen Regierungsvertretern zur Wehr. Als sie den Fall der 14-jährigen Hirut übernimmt, die auf dem Heimweg von der Schule entführt und vergewaltigt wird und auf der Flucht ihren Peiniger erschießt, setzt sie alles auf eine Karte. Hirut, des Mordes angeklagt, droht die Todesstrafe, auch wenn sie in Notwehr gehandelt hat. Denn auf dem Land gilt in Äthiopien nach wie vor die Tradition der „Telefa“, der Entführung zum Zweck der Eheschließung.
Panorama-Publikumspreis Dokumentarfilm
Wie beim Teddy gewinnt auch hier die Schweizer Dokumentation Der Kreis.
Preis der Siegessäule Leserinnen-Jury
Die Jury des queeren Stadtmagazins Siegessäule zeichnet in diesem Jahr 52 Tuesdays von Sophie Hyde aus. Die als Dokumentarfilmerin bekannte Sophie Hyde verwendet in ihrem ersten Spielfilm dokumentarische Stilmittel. Um ein Höchstmaß an Authentizität zu erreichen, wurde ein Jahr lang gedreht, aber immer nur Dienstags, und die Geschichte währenddessen entwickelt.
Sie erzählt die Geschichte der 16jährigen Billie, selbst auf der Suche nach ihrer eigenen Identität, deren Mutter sich im Laufe dieses einen Jahres zu einem Mann angleichen lässt, jedoch die Dienstage immer mit ihrer/seiner Tochter verbringt.
Der Goldene Bär
Der Gewinner des Goldenen Bären steht noch nicht fest, doch wie plädieren in einem Wettbewerb, der ganz sicher in diesem Jahr nicht zu den stärksten gehörte, klar und eindeutig für den Film Boyhood von Richard Linklater mit Patricia Arquette, Ethan Hawke, dem großartigen Ellar Coltrane und Lorelei Linklater in den Hauptrollen.
Linklater begann mit dem außergewöhnlichen Filmprojekt im Jahr 2002 und versammelte seitdem einmal jährlich über einen Zeitraum von 10 Jahren die Schauspieler, um an der Fortsetzung der Geschichte zu drehen. So beobachten wir quasi in Echtzeit das Heranwachsen des Hauptdarstellers Ellar Coltrane als Mason und seine „Boyhood“ in einer nicht einfachen Familie. Nicht nur er wird älter, auch alle anderen Darstellerinnen und Darsteller altern und entwickeln sich in diesen 10 Jahren. Nicht nur ein ungewöhnliches Projekt, so eine Art Lindenstraße im Schnelldurchlauf, sondern vor allem ein überaus treffsicherer und sensibler Blick auf das Heranwachsen. Großartige und zu keinem Zeitpunkt langweilige 164 Minuten!
Berlinale im TV:
Offizielle Preisverleihung: Samstag, 15.2., 19 Uhr auf 3 sat
Teddy-Award (Aufzeichnung): Samstag, 15.2., 23:30 Uhr auf arte
und im
Kino International am Dienstag, 18.2., 22:00 Uhr: Vorführung des Teddy-Gewinners