Berlin 1943 bis 1945: Ein Leben zwischen Luftschutzkeller und versuchter Normalität
Die Erzählerin nahm durchaus wahr, was sich in ihrer näheren Umgebung abspielte: Ein benachbartes Ehepaar musste bei Luftangriffen in einen separaten Luftschutzkeller, weil der Mann Jude war.
Auch das Verschwinden einiger Nachbarn blieb der jungen Frau nicht verborgen.
Hannelore Krollpfeiffer erschien es damals abwegig zu glauben, dass Juden einfach umgebracht werden. "So schlimm können die doch nicht sein." - lautete ihre Einschätzung in Bezug auf Hitler
& Co. Auf diese Weise erscheint der Selbstmord einer Frau aus der Nachbarschaft, deren jüdischer Mann "abgeholt" wurde, durchaus unlogisch: Was ist, wenn ihr Mann zurückkommt, fragt sich die
damals Anfang Zwanzigjährige.
Nicht unbedingt die mangelnde Reflexionsfähigkeit der Autorin, sondern vielmehr die Gutgläubigkeit an die nationalsozialistischen Machthaber und deren Propaganda spricht aus diesen
Textstellen des Buches. Auch das beharrliche Warten auf die "Wunderwaffe", die in den Zeitungen immer wieder angekündigt wurde, dürfte so zu erklären sein.
Der gelebte Alltag
"Es ist eben Krieg" - diese Aussage wird fast zu einem Schlagwort in der Bevölkerung, um die verschlechterten Lebensbedingungen in Berlin einigermaßen zu bewältigen. Die Menschen müssen sich
anpassen und eine Überlebensstrategie finden - so könnte das Motto dieses Buches lauten. Am Beispiel der zwei Frauen zeigt sich, wie unterschiedlich die Suche danach sein kann.
Die Erzählerin übernimmt hierbei die überängstliche Position. Ihre Schwester Ursula hingegen geht relativ leichtfertig mit der Gefahr um. Zahlreiche ungewisse Stunden im Luftschutzkeller
bereiten letztendlich beiden ungeheure Angst. Trotzdem versuchen sie, ihre Normalität mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten.
Sogar ein zeitweiliger Ausbruch aus dieser chaotischen "Normalität" gelingt den Frauen: Neben einer kleinen Liebesgeschichte steht ein Opernbesuch an, der für die beiden zum kulturellen
Höhepunkt wird.
Authentisches Bild Berlins im Krieg
Der flüssige und zum Teil heitere Erzählstil vermittelt ein authentisches Bild der letzten Kriegsjahre in Berlin. Insbesondere gelingt es der Autorin, ihre Gedanken als junge Frau für den
heutigen Leser nachvollziehbar wiederzugeben.
Die 1924 geborene Autorin veröffentlichte bereits 1947 ihre Geschichte, die nun unbearbeitet noch einmal aufgelegt wurde. Hannelore Krollpfeiffer arbeitet seit 1946 als Journalistin und
Buchautorin. Dreißig Jahre lang war sie stellvertretende Chefredakteurin der Frauenzeitschrift "Brigitte".
Edda Neumann
Hannelore Krollpfeiffer: Wir lebten in Berlin. Eine Geschichte vom Ende des Krieges, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2007, 7,50 Euro, 128 Seiten, ISBN-13: 978-3423344159