Kultur

Berichte aus der Käseglocke

von Die Redaktion · 28. März 2008

"Hintergrundgespräche sind eine ständige Versuchung, sich wichtig zu fühlen oder einwickeln zu lassen, weil man mit den Mächtigen am Tisch sitzt", schreibt Bruns. Leinemann hatte die Nähe zu prominenten Politikern, die ihm Einblicke in ihr Leben gönnten, um die ihn sicherlich andere beneiden (und er sich auch ). Aber gerade diese Nähe offenbart mehr als dem Autor lieb sein kann die Kumpanei, die zwischen manchen Journalisten und Politikern besteht.

Männliche Kumpanei

Diese Kumpanei ist ausschließlich männlich. Frauen in der Politik widmet er im Vergleich zu den hunderten Seiten über männliche Politiker nur ein paar Zeilen. So fällt Leinemann zu Helmut Schmidts Kabinett eben auch der Ausdruck "Der Kanzler und seine Mannen" ein. Katharina Focke, Antje Huber oder Marie Schlei sucht man vergebens. Wer je bezweifelte, dass es ein "old boys network" - übrigens auch zwischen Journalisten und Politikern - gibt, wird in dem Buch eines Besseren belehrt.

Obwohl Leinemann sich in seiner persönlichen Befindlichkeit nicht zurücknimmt, bleibt seine Sicht einseitig gerichtet auf den Höhenrausch der Politiker und auf deren wirklichkeitsleere Welt, die er letztendlich aber nicht herausarbeitet. Er scheut sich nicht, auch private, freundschaftliche Begegnungen für sein Buch zu instrumentalisieren. Er belauscht bierselige Runden und posaunt Gespräche unter Freunden beim Italiener aus. Das mag der Stoff sein, den Menschen gerne lesen, doch kann man von einem politischen Journalisten mehr erwarten, wenn er ein bundesrepublikanisches Panorama verspricht.

Kritisches Durchleuchten

Anders Tissy Bruns. Auch sie konzentriert sich auf die Akteure in der bundespolitischen Arena, beschreibt subtil ihr politisches, auch menschliches Verhalten. Sie geht aber zugleich auf die strukturellen Rahmenbedingungen ein. Gerade dieses Ineinandergreifen von subjektiven Erlebnissen und dem Fragen nach den Hintergründen macht den Reiz des Buches aus. Wie ein roter Faden zieht sich eines durch ihre Schilderung: die Frage nach der Wirklichkeit. Welche politische Wirklichkeit wird dem Volk präsentiert? Und findet dieses seine eigene Lebenswirklichkeit in der öffentlichen Meinung wieder? Schon diese Fragestellung zeigt, dass es Bruns nicht nur um Politiker geht, sondern ebenso um die sie umgebenden Journalisten, um das Wechselspiel von Politik und Medien. Beide beschreibt und durchleuchtet sie kritisch.

Es ist nicht alles neu, was Bruns beschreibt, aber aus der Feder einer anerkannten Journalistin wirkt es authentisch. Folgt man ihren Gedankengängen, dann haben Politiker und Journalisten die Regie über ihr Handeln an die Medienentwicklung abgegeben. Deren Takt bestimmt das Geschehen. Journalisten jagen nach Quoten, Medientenor und Exklusivität - Politiker nach Bekanntheit und kurzfristiger Effekthascherei. Vereint sind sie auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, verlieren aber beide zugleich den Zugang zum Volk. Politikverdrossenheit und flüchtige Wähler belasten die Politiker, digitale Medien gefährden die Existenzberechtigung von Journalisten. "Sie reden unaufhörlich miteinander; die politische Kommunikation, der Dialog der öffentlichen Kaste mit der Bevölkerung hat unterdessen schwer gelitten", sagt Bruns.

Überflüssiger Ratschlag

Folgerichtig schlägt sie den Hauptstadtjournalisten vor, häufiger in die Provinz zu gehen und das Gespräch mit den Menschen zu suchen. Und was rät sie den Politikern? Dasselbe. Und sie greift das Plädoyer eines Spitzenpolitikers für mehr direkte Bürgerkontakte auf. Das mag für das Spitzenpersonal der Parteien und Hauptstadtjournalisten eine Therapie sein. Aber ca. 90 Prozent der 612 Mitglieder des deutschen Bundestages brauchen Bruns' Aufforderung nicht, weil sie in ihren Wahlkreisen leben und 50 Prozent ihrer Arbeitszeit den Menschen in der "Provinz" widmen. Es würde reichen, wenn Hauptstadtjournalisten sie auch in Berlin wahrnähmen und sie nicht nur als Hinterbänkler verspotteten. Allerdings müssten sie dazu, zumindest kurzfristig, den Jahrmarkt der Eitelkeiten verlassen.

Dr. Edith Niehuis, Parlamentarische Staatssekretärin a. D., SPD - Bundestagsabgeordnete 1987 - 2002

Leinemann, Jürgen, Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker, Blessing-Verlag, ISBN 978-3896673060, 10 Euro

Bruns, Tissy, Republik der Wichtigtuer. Ein Bericht aus Berlin, Herder-Verlag, ISBN 978-3451287152, 19,90 Euro

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