Kultur

„Be Water – Voices From Hongkong“: Eine Aufforderung Haltung zu zeigen

Hongkongs Straßen erlebten Glanz und Elend des Freiheitskampfes: Der Dokumentarfilm „Be Water – Voices From Hongkong“ schildert die Niederschlagung der Massenproteste vor einigen Jahren und fordert eine konsequente Haltung gegenüber China.
von ohne Autor · 8. September 2023
Brutal gegen pekingtreue Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende vor.
Brutal gegen pekingtreue Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende vor.

Im Dunkel der Nacht versuchen junge Männer und Frauen, sich auf halsbrecherische Weise aus einem Universitätsgebäude in Hongkong zu befreien. Im Zuge der Massenproteste von 2019 und 2020 gegen die wachsende Vorherrschaft Pekings hatten Studierende es besetzt. Nun wird der Bau von Sicherheitskräften belagert, die die Protestierenden im Licht flackernder Scheinwerfer mehr oder weniger fantasievoll beschimpfen. Zum Beispiel mit den Worten „Ihr seid gebildeter als wir, doch wir besitzen mehr Intelligenz“.

Eine Machtdemonstation

Die galligen Sätze sind eine unverhohlene Machtdemonstration. Polizist*innen wähnen sich außerhalb jeglicher medialen Aufmerksamkeit und lassen die sonst so sorgsam gepflegten Masken fallen. Fast möchte man sagen: Die Unterdrücker*innen werden als Menschen greifbar. Solche Einblicke in das Protestgeschehen und das Agieren des Sicherheitsapparates in der ehemaligen britischen Kronkolonie sind selten.

Lia Erbals Dokumentarfilm macht sie möglich. Die Filmemacherin fügte Schnipsel aus Online-Videos von den Demonstrationen zusammen, zu denen sich Millionen von Menschen versammelten. Außerdem traf sie junge Leute, die Teil dieser Bewegung waren und nun im Exil leben. Deren inneren Monolog kombinierte sie mit den Bildern der dramatischen Monate in Hongkong. Archivaufnahmen zeigen Joshua Wong, einen der führenden Köpfe der Proteste, bei der Bundespressekonferenz in Berlin. Später wurde der Student, Aktivist und Politiker inhaftiert.

Abbau von Grundrechten

Anfangs machten Menschen ihrer Kritik gegen ein Gesetz Luft, das die Auslieferung von Strafgefangenen an die Volksrepublik China ermöglichen sollte. Irgendwann stand das gesamte politische System in der Sonderverwaltungszone am Pranger. Angesichts des von dem Pekinger Regime gesteuerten Abbaus demokratischer Grundrechte ist der Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ längst zur hohlen Phrase geworden.

Der Film erzählt aber nicht nur von der Niederschlagung einer Protestbewegung. Lia Erbal macht auch die globale Bedeutung jener Geschehnisse deutlich. Bei den Szenen brutaler Polizeigewalt schwingt immer auch der Gedanke mit: Heute triff es Hongkong und morgen vielleicht irgendeinen anderen Ort auf der Welt, der dem wachsenden Einfluss von Xi Jinpings Diktatur ausgesetzt ist. Vor diesem Hintergrund verströmen die Bilder aus der Millionenstadt eine große Kraft, mag es auch die Kraft der Verzweiflung sein.

Keine Hoffnung mehr auf Wandel durch Handel

Dieser Aspekt führt zu der Frage, wie es jene Länder, die sich freiheitliche Werte auf die Fahnen schreiben, mit der zunehmend aggressiven Großmacht in Asien halten. Länder, die – anders als die Demonstrierenden in Hongkong – noch keinen direkte Systemkonfrontation mit Peking erleben, wohl aber in bedenkliche wirtschaftliche Abhängigkeiten geraten sind.

Der entsprechende, abwechselnd mit dem Blick auf Hongkong einsetzende Erzählstrang schildert die Versuche westlicher Länder, sich in der Konkurrenz der Ideologien glaubhaft zu positionieren. Von der Hoffnung auf Wandel durch Handel spricht niemand mehr. Wie aufreibend diese Positionierung ist, erleben wir unter anderem aus der Perspektive von Reinhard Bütikofer. Die Kamera begleitet den Grünen-Politiker und Europa-Abgeordneten im Austausch mit Expert*innen und im EU-Parlament. Was wir dabei zum Thema China zu hören bekommen, macht wenig Hoffnung. Auch die Diskussion zwischen US-Außenminister Antony Blinken und seinem chinesischen Amtskollegen Qin Gang über das Thema Menschenrechte hinterlässt einen düsteren Eindruck.

Eine Aufforderung

Für genau diese Menschenrechte haben Joshua Wong und zahllose andere Menschen aus Hongkong viel riskiert. Ihre Erfahrungen werden in dieser mäandernden und auch mit Animationen angereicherten Collage sehr konkret. Sie sind nicht nur ein aufwühlendes Dokument, sondern auch als Aufforderung zu verstehen, Haltung gegenüber jeglichen Propagandist*innen von Unfreiheit zu zeigen.

Info: Be Water – Voices From Hongkong (Deutschland 2023), ein Film von Lia Erbal, OmU, 92 Minuten.

www.dropoutcinema.org

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