Kultur

Banale Motive?

von Katarina Günther · 13. Dezember 2011

„Angeklagt“ ist keine Gute-Nacht-Lektüre. Ein verliebter Mann ersticht seine hochschwangere Freundin. Zwei Männer brechen nachts in die Wohnung einer alleinstehenden Frau und deren Kind ein und prügeln die Frau fast zu Tode. Eine alte Dame wird erschlagen in ihrer Wohnung gefunden. Glinski beschreibt Motive und Umstände die gewöhnliche Menschen zu Schwerverbrechern machen.

So vielfältig wie die Gesellschaft sind auch die Tätertypen: vom unbeschriebenen Blatt bis zum mehrfachen Wiederholungstäter. Sozialisation und Kindheit spielen zwar eine große Rolle bei der Erforschung der Ursachen für eine Tat, die Täter jedoch stammen aus allen Gesellschaftschichten. Am Schluss eines jeden Prozesses steht immer die Frage nach dem Warum. Dieser geht Glinski anhand von zehn durch ihn verhandelten Fällen nach. Sein Fazit: „So banal wie die Wirklichkeit sind oft auch die Motive für die Tat“. 

Eine Beziehungskrise, ein defekter Fahrradmotor und eine zufällige Begegnung mit dem Täter Maik Kolze z.B. wurden der Rentnerin Else Lührs zum Verhängnis. Oft wird die Tat nicht im Voraus geplant, sondern ist es nur ein Moment, in welchem beim Täter der Verstand aussetzt. Eine Verkettung unglücklicher Umstände führt zur Tat.  

Verstehen, warum jemand zum Mörder wird 

Auch wenn Täter und Opfer nicht die Wahrheit sagen, Gutachten sich widersprechen, Indizien und Spurenlage nicht eindeutig sind, müssen Richter versuchen, der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen. Schließlich kann ihr Urteil bei einem Mordprozess für den Täter im schlimmsten Fall „lebenslange Freiheitsstrafe“ heißen.

Der 39-jährige Autor Robert Glinski ist seit über zehn Jahren Richter in Sachsen-Anhalt und Mitglied der Strafkammer für Schwurgerichtssachen am Landgericht Magdeburg. Seine Sicht auf die Täter hat sich geändert, seitdem er selbst schwerste Straftaten verhandeln muss. Glinski will „verstehen, warum jemand zum Mörder wird, was diese Täter für Menschen sind und welche Motive sie zur Tat getrieben haben“. „Die Erkenntnis, dass keine Vorstellung so absurd ist, dass sie nicht der Realität entsprechen könnte“, hilft ihm als Richter objektiv zu sein. Glinski setzt sich auch mit der Arbeitsweise seiner Kollegen auseinander. So kritisiert er beispielsweise deren Vorgehen im Kachelmann-Prozess.  

Erkennen, wie die Justiz zum Urteil findet

Nebenbei werden dem Leser auch theoretische Kenntnisse zum materiellen Strafrecht, zu Strafrechtstheorien und zum Prozessrecht vermittelt. Er lernt, wie das Strafverfahren aufgebaut ist und dass die Prüfung eines Deliktes nach Tatbestandsverwirklichung, Rechtswidrigkeit und Schuld erfolgt. Besonders kompliziert ist die Erforschung der inneren Tatseite, also des Vorsatzes: Was hat der Täter gewusst und gewollt? Das Buch ist ein spannender Ausflug in die Welt der Justiz und eine faszinierender Einblick in die Köpfe der Täter.  

Robert Glinski: „Angeklagt. Zehn spektakuläre Fälle – als Richter am Schwurgericht“, Ullstein Buchverlage, Berlin 2011, 8,99 Euro, 252 Seiten, ISBN: 978-3-548-37417-8

Autor*in
Katarina Günther

ist promovierte Rechtswissenschaftlerin und Journalistin. Ihre Schwerpunkte sind juristische und steuerrechtliche Themen.

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