Kultur

„Bait“: Ein Fischer im Kampf gegen die Verdrängung

Showdown zwischen reichen Feriengästen und abgehängten Einheimischen: Das düstere Sozialdrama „Bait“ erzählt in aufgeladenen Bildern von den Umbrüchen in einem englischen Touristenparadies.
von ohne Autor · 26. Oktober 2019
Sollen verdrängt werden: Martin (Edward Rowe) und Neil (Isaac Woodwine) sind mächtig unter Druck.
Sollen verdrängt werden: Martin (Edward Rowe) und Neil (Isaac Woodwine) sind mächtig unter Druck.

Als der Fischer Martin Ward in der ersten Szene festen Schrittes die schmale Straße zum Hafen hinunterstapft, ist die besondere Energie dieses Films sofort spürbar. Auch wenn eine der vielen Großaufnahmen dieses auf den ersten Blick so bärbeißig anmutenden Gesichtes nicht verrät, ob diese Energie, die den bulligen Mann fast explodieren lässt, gut oder schlecht ist. Überhaupt weiß man nach dieser Sequenz recht wenig. „Bait“ (deutsch: „Köder“) wird nicht streng chronologisch erzählt, lebt vielmehr von Rückblenden und abrupten Schnitten. Und das alles in grobkörnig-flackernden Schwarz-Weiß-Bildern, die an sowjetische Avantgarde-Produktionen aus den 20er-Jahren erinnern und die mythische Wirkung dieses Dramas unterstreichen.

Wenn Menschen Urlaub machen

Der allumfassende Druck, der sich von Beginn an aufbaut, muss irgendwann zur Explosion kommen. Bis dahin nimmt die Geschichte eines Fischerdorfes in Cornwall einige Wendungen, die sowohl mit den Erwartungen des Publikums als auch mit den handwerklichen Möglichkeiten des Mediums Films spielen.

Im Prinzip passt die Handlung zu vielen Gegenden, wo Menschen gerne Urlaub machen. Einst ernährte die Fischerei die Leute in Cornwall. Heute ist es der Tourismus. Lokale Traditionen sterben aus, stattdessen ist in diesem kleinen Städtchen alles auf die Touristenscharen ausgerichtet, die im Sommer ein Cottage mieten und selbst dann das Geschehen dominieren, wenn sie dem beschaulichen Ort längst den Rücken gekehrt haben.

Viele Einheimische haben sich damit arrangiert und dank der Urlauber neue Einnahmequellen gefunden. Andere hängen den alten Zeiten nach und stören sich daran, dass gut betuchte Großstädter, die reihenweise Häuser aufkaufen und an andere Auswärtige vermieten, die Regeln des Zusammenlebens neu definieren.

Riss durch die Familie

Dieser Riss geht auch durch Martins Familie. Früher fuhr er mit seinem Bruder Steve aufs Meer hinaus und kehrte mit sattem Fang zurück. Doch irgendwann funktionierte Steve das Fischer- zu einem Touristenboot um. Seitdem schippert er Urlauber durch die romantisch-zerklüftete Bucht und schaut mitleidig zu, wie Martin, mittlerweile ohne Boot, an der lächerlich ertragsarmen Fischerei festhält. Trotzig legt er gemeinsam mit Steves Sohn Neil Netze am Ufer aus. Wenn es gut läuft, kehrt er mit vier Fischen heim.

Doch Martin setzt nicht nur der Dauerkrach mit seinem Bruder zu. Ein reiches Londoner Ehepaar hat die halbe Straße aufgekauft. Auch das Haus des Vaters, das die klamme Familie verkaufen musste, wurde zu einem gnadenlos verkitschtem Feriendomizil. Als Mr. und Mrs. Leigh Martin auffordern, seinen Wagen nicht mehr vor ihrem Haus mit Blick aufs Hafenbecken zu parken, eskaliert die Situation.

Weil er den Strafzettel nicht begleichen will oder kann, prangt eines Tages eine Parkkralle am Rad. Es kommt eine Spirale der Aggression in Gang, von der schwer abzuschätzen ist, wo sie endet. Dass Neil obendrein mit der Tochter der Leighs anbandelt, verleiht dem komplizierten Konflikt zusätzliche Dynamik.

Symbolisch aufgeladene BIlder

Schnell wird klar, auf wessen Seite Regisseur Mark Jenkin steht. Der 43-Jährige stammt aus Cornwall, noch heute lebt und arbeitet er dort, kennt den Umbruch also aus eigener Anschauung. Jenkin will den Konflikt zwischen den „Alteingesessenen“ und den „Neuen“ nicht analysieren, eher breitet er ihn in seiner ganzen Urgewalt aus, arbeitet mit krassen, häufig gegeneinander geschnittenen Gegensätzen. Seien es Martins klappriger Pick-up und der Nobel-SUV der Leighs oder Martins Hände beim Vertäuen des Netzes und die manikürten Finger von Mrs. Leigh, die den Kühlschrank mit Champagner und Biojoghurt befüllen. Diesen Ansatz kann man plakativ finden, jedoch treiben diese symbolisch aufgeladenen Bilder den hypnotischen Faktor und die Spannung nach oben.

Zweifelsohne trägt die technische Beschaffenheit erheblich zur Wirkung dieses Dramas, das dieses Jahr auf der Berlinale gezeigt wurde, bei. Jenkin, der auch für Drehbuch, Kamera, Schnitt und Soundtrack verantwortlich zeichnet, verfolgte das Ziel, analog zur traditionellen Fischerei auch den Film handwerklich umzusetzen, also möglichst roh und ungeschliffen zu belassen, selbst wenn die atmosphärisch dichten, meist statischen Einstellungen sorgfältig komponiert wurden.

„Bait“ wurde im 16-Millimeter-Format gedreht und von Hand entwickelt. Man kann sich für Jenkins radikalen Sozialrealismus, der hier im Gegensatz zu genreverwandten Filmemachern wie Ken Loach keinerlei Feelgood-Anflüge bietet und stattdessen eine horrorfilmtaugliche Düsternis erreicht, kaum eine mitreißendere Umsetzung vorstellen als diese.

„Bait“ (UK 2019), ein Film von Mark Jenkin, mit Edward Rowe, Simon Shepherd, Mary Woodwine, Giles King u.a., 88 Minuten, OmU. Jetzt im Kino

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