Kultur

B-Movie: Von der Avantgarde zur Love Parade

Es war einmal eine Stadt der wilden Geister und billigen Mieten: Der Dokumentarfilm „B-Movie“ wirft einen ironischen Blick zurück auf das kreative Chaos im Biotop namens West-Berlin.
von ohne Autor · 22. Mai 2015

Wer sich an die 80er-Jahre erinnern kann, hat sie nicht erlebt, heißt es so schön. Der Protagonist und Erzähler Mark Reeder beweist indes ein beeindruckendes Erinnerungsvermögen.

Und das, obwohl er rund um das Jahr 1980 so gut wie nichts ausgelassen hat – wie so viele andere Zuzügler eben auch, die seinerzeit in die Teilstadt gekommen waren, um Grenzen zu überwinden und Tabus zu brechen. Wo ging das besser als an jenem „kalten Ort“ mit dieser diffusen, aber dröhnenden Energie, die so viele Hedonisten und Utopisten anzog und verschlang?

Fasziniert von deutschen Elektroniksounds, zog Reeder 1978 als Vertreter eines Plattenlabels, das die Post-Punk-Pioniere Joy Division unter Vertrag hatte, von Manchester nach Berlin. Und plumpste mitten hinein ins Szene-Gewusel mit endlosen Partynächten und exzessiver Experimentierfreude.

Endlich konnte er seinem Fetisch für Uniformen hemmungslos freien Lauf lassen.
Anfangs schlägt er sich als Soundmixer, Konzertveranstalter und Darsteller in Splatterfilmen durch. Ende der 80er-Jahre mischt er bei der allerersten Love Parade mit und gründet die Plattenfirma MFS, eines der wichtigsten deutschen Trance-Labels. Von Punk und Avantgarde zur Love Parade: In Reeders Leben spiegelt sich die Geschichte die Entwicklung der West-Berliner Subkultur(en) wider – also jenem mitunter verklärten Teil des damaligen Biotops, das dank der Mauer nach innen eine grenzenlose Freiheit genoss, so der 1958 geborene Reeder. „Malaria“ und andere Projekte der Musikerin (und heutigen Produzentin) Gudrun Gut oder Bands wie „Ideal“ und „Einstürzende Neubauten“ kreierten einen – mitunter kompromisslosen – Sound, der wiederum viele internationale Szenegrößen als zeitweilige Bewohner in die Stadt spülte: Was David Bowie und Iggy Pop in den Siebzigern vormachten, holten Nick Cave und „Depeche Mode“ nun nach.

Staunender Wanderer

Das gleiche Staunen, mit dem Reeder seinerzeit durch Clubs wie das „SO 36“ oder das „Loft“, das „Risiko“ und andere Szene-Kneipen oder besetzte Großbürgerwohnungen stiefelte, macht sich auch beim Zuschauen bemerkbar. Hier wird nichts verklärt: Reeder nimmt uns an die Hand und mit auf eine  Wanderung, die sich sowohl beim Erzählstoff als auch in der Filmästhetik zwischen Dilettantismus und Avantgarde bewegt. In dem verhuschten Mitschnitt eines „Neubauten“-Konzerts in einem Zwischenraum unter der Autobahn finden die Pole in beeindruckender Weise zusammen.

Zeit zum Durchatmen bleibt dabei kaum: In schnellen Schnitten wechseln die Menschen und die Situationen, oftmals in grobkörnigen und Handkamera-Aufnahmen von damals. Als würde man durch eine flirrend-abgründige Partynacht ziehen. Mit Spannung verfolgt man, wie sich Reeder vom Fremdling zum Teil des Untergrunds mausert, wenngleich die Außenseiter-Perspektive, wohl auch aus Koketterie, bis zum Schluss  mitschwingt. Etliche Szenen entstammen einer britischen Fernsehdokumentation, in der Reeder eine Journalistin durch die Stadt führt. Einige Sequenzen wurden mit Schauspielern nachgestellt.

Kurzum: Reeder ist nicht nur Teil des Geschehens, sondern auch gewohnt, die Szene zu verkaufen und zu erklären. Umso auffälliger ist die Distanz, mit der er, aber auch die Filmemacher Jörg A.Hoppe , Klaus Maeck und Heiko Lange zurückblicken. Mit schelmischer (Selbst-) Ironie liefert Reeder immer wieder erhellende Details und Pointen.

Angenehmer Abstand

Maeck und Lange konnten dabei offenbar auf einen reichen Privatfundus  zurückgreifen. Ersterer drehte Anfang der 80er-Jahre in West-Berlin Super-8-Filme und einen Spielfilm mit Christiane F. und Mark Chung von den „Neubauten“. Hoppe verlegte Anfang der 80er-Jahre in der Mauerstadt Videos und Schallplatten, bevor es ihn zum Film verschlug. Lange, der dritte Regisseur und Produzent im Bunde, kommt ohne derlei Prägungen aus. Dass sich der Film, der bei der diesjährigen Berlinale seine Premiere feierte, durch einen wohltuenden Abstand auszeichnet, könnte also auch eine Folge dieses besonderen Gespanns sein. Bei dem einen oder anderen, der dieses West-Berlin noch aus eigener Anschauung kennt, mag Wehmut aufkommen, sind doch mit vielen der damaligen Klangkunstwelten auch die entsprechenden Schauplätze  verschwunden. Der Film macht aber auch deutlich, dass der Wandel letztendlich im damaligen Treiben der Protest-und Subkulturen angelegt war. „Es ist unmöglich, die Essenz von Berlin auf Film festzuhalten“, nuschelt „Neubauten“-Sänger Blixa Bargeld der BBC-Reporterin ins Mikro. Nennen wir dies jugendlichen Übermut: In einer weitgehenden Einheit von Inhalt und Form liefert „B-Movie“  einen starken und sinnlichen Eindruck vom ungestümen Geist jener Jahre.

Info:
„B-Movie – Lust und Sound in West-Berlin 1979-1989“ (D 2015), ein Film von Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange, mit Mark Reeder, Blixa Bargeld, Gudrun Gut, Nick Cave,  u.a., 92 Minuten
Ab sofort im Kino

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