Wenn von Heimstätten alternder Rocklegenden die Rede ist, denken viele an Los Angeles oder englische Landgüter. Der neue Dokumentarfilm von Sigrun Köhler und Wiltrud Baier entführt uns hingegen ins tiefste Oberbayern.
„Where's The Beer And When Do We Get Paid?“ zeigt, dass im schönen Örtchen Höpfling nicht nur Folklore, sondern auch die Avantgarde zu Hause ist. Dort, irgendwo zwischen dem Chiemsee und Berchtesgaden, hat der Schlagzeuger einer der innovativsten und exzentrischsten Bands der Rockgeschichte seine späten Lebensjahre verlebt. Sein Name lautet Jimmy Carl Black, auch bekannt als „The Indian Of The Group“, gemeint sind die „Mothers Of Invention“.
Where is the Beer
Black muss sich irgendwann damit abgefunden haben, dass die meisten das Multitalent Frank Zappa mit der Gruppe verbinden, die in den 60er-Jahren ausgezogen war, Rock, Jazz und Klassik zu einem bisweilen absurden Neuen zu verquicken. Schließlich ist jene Frau aus Bayern, die er in den 90er-Jahren geheiratet hatte, ein glühender Zappa-Fan. Davon zeugen allein die zahllosen Poster, die die gemeinsame Wohnung in Höpfling zieren. Doch es war Black, der die Band unter anderem mit Bassist Roy Estrada unter dem Namen „The Soul Giants“ gegründet hatte. Zappa stieß erst später dazu. Der Gitarrist, der zum künstlerischen Gesamtleiter wurde, versprach den anderen, sie würden reich und berühmt, wenn sie seine Songs spielen. Welch trügerische Verlockung.
Traum von der Rente
Mag sich der Ruhm auch eingestellt haben – das Musikmagazin „Rolling Stone“ bezeichnete den 1938 geborenen Texaner seinerzeit als einen der besten Drummer überhaupt. Finanziell boten sich weniger Gelegenheiten zum Abheben: Nach der Auflösung der „Mothers Of Invention“ Anfang der 70er-Jahre kam Black finanziell nie wieder auf die Füße. Von einer Rente mit 67 konnte er nur träumen: Bis zu seinem Tod vor fünf Jahren tingelte er mit verschiedenen Ensembles durch die Lande, um vor allem Songs aus seiner Zeit mit Zappa zum Besten zu geben. Im Film begleiten wir ihn auf Tour mit dem Experimentalmusiker Eugene Chardbourne und der Liverpooler Band „Muffin Men“. Freundlich, wenn auch widerwillig, signiert er die immergleichen angejahrten Zappa-Platten.
„Where Is The Beer“ ist indes kein Musikfilm. Vielmehr zeigt er, was es bedeutet, als lebende Legende von vergangenen Glanzzeiten zu zehren. Selbst wenn echte Legenden ohnehin tot seien, wie Black mit dem ihm typischen selbstironischen Sarkasmus in einer Szene verkündet. Es geht um die Schwierigkeit, gerade die Schattenseiten dieses Daseins zu meistern. Damit sind nicht nur chronische Geldnöte gemeint, sondern auch das Gefühl, aus der Zeit gefallen zu sein, selbst wenn man meint, Zeitloses erschaffen zu haben – und damit selbst ein bisschen zeitlos zu sein.
Weder Black noch seine Weggefährten, darunter „Mothers“-Kollegen wie der inzwischen 81-jährige Synthesizer-Virtuose Don Preston, sprechen das vor der Kamera so deutlich aus. Der Eindruck ergibt sich von selbst. Etwa, wenn Black am Rande einer Konzertreise durch die USA in El Paso, wo er aufgewachsen war, einer Familie begegnet, die weder mit seinem Namen noch dem von Zappa etwas anfangen kann. Man kommt ins Gespräch. Als der Sohn am Ende um ein Foto mit dem Musiker bittet, scheint der geradezu erleichtert.
Wiedervereint im Jenseits
Das Warten ist das Aufreibendste am Tourleben, sagen Rockmusiker. Das ist auch Black anzusehen, wenn er apathisch von seinem Motelbett auf die Glotze starrt. Überhaupt hat das Warten, so ist aus seinen Erzählungen herauszuhören, die letzten vier Jahrzehnte seines Lebens, das ihn der Liebe wegen nach Südddeutschland spülte, bestimmt. Die Furchen im Gesicht dieses zumindest äußerlich gelassenen Mannes mit den sanften Adleraugen scheinen nicht zuletzt davon zu zeugen. Zunehmend schleicht sich während des Films auch das Warten auf das Ende ein. Wer an ein Leben nach dem Tod glaubt, könnte sagen: Der Krebs wird Black mit einem Teil der „Mothers“ wiedervereinen. In der Schlusseinstellung ist das Bahngleis in Höpfling, wo Black immer wieder in die Rock-Welt aufgebrochen war, verwaist. Nur wenige Wochen nach dem letzten Interview wird seine Asche in der Wüste bei El Paso verstreut.
Zweifelsohne lebt dieser Dokumentarfilm vor allem vom lakonischen Witz des Protagonisten. Die tödliche Krankheit ist ihm erst kurz vor Schluss anzumerken. In ihrer scheinbaren Beiläufigkeit sagen einige Situationen viel darüber aus, was es heißt, als Künstler zu altern, selbst wenn sich die Kunst immer noch frisch anfühlt. „Kunst ist immer auch Diebstahl“, heißt es an einer Stelle. Manchmal, so zeigt Blacks Beispiel, nimmt sich die Kunst rücksichtslos ein Leben.
Mit einem „Heimatfilm“, wie der Verleih verheißt, hat das Ganze wenig zu tun. Nun gut: Es mutet skurril an, wenn der Altrocker mit leicht zerzaustem Haar vor einer Voralpenidylle mit Seilbahn ein Bier schlürft oder ironisch über den Kauf einer Lederhose philosophiert, um endlich im Dorf akzeptiert zu werden. Viel mehr an lokaler Tiefe erreichen die Filmemacherinnen nicht. Warum auch: Das eigentliche Thema, die Reise des Künstlers durch die Zeit, sprengt jeden geografischen Rahmen.
Info:
Where's The Beer And When Do We Get Paid? (D 2012), ein Film von Sigrun Köhler und Wiltrud Baier, mit Jimmy Carl Black, Don Preston, Eugene Chadbourne, Arthur Brown, Roy Estrada u.a., 86 Minuten. Ab sofort im Kino