Kultur

Aus der Sprache vertrieben

von Die Redaktion · 28. Februar 2006

Alois Kokot ist Deutscher. Und er ist heute für Deutsche und Polen gleichermaßen Bürgermeister von Dobrzen Wielki, das manche auch Groß Döbern nennen. Wenn er aus der Zeit seiner frühen Kindheit erzählt, schimmert viel Leid durch.

Als Polen angesehene Dorfbewohner, die auf Betreiben der deutschen Besatzungsmacht in den Jahren zuvor ihren polnisch klingenden in einen deutschen Namen umgewandelt hatten, wurden nach dem Krieg als Verräter verfolgt. Die Deutschen, die in Oberschlesien blieben, mussten Namen und Sprache ändern und zu Polen werden. Sie hatten nicht teil am Schicksal der Zwangsvertreibung. Sie waren nur aus ihrer Sprache vertrieben worden. Das hört sich weniger schlimm an, ist es aber offensichtlich nicht.

Die Begriffe Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland sind für viele Heutige kaum noch lokalisierbar. Die Einbindung historischer Dokumente wie auch alter Landkarten erleichtert es das Geschriebene geographisch einordnen zu können. Ansonsten aber entzieht sich das Geschilderte aller Einordnung.

Niemand sucht sich seinen Geburtsort aus, so wenig, wie man sich die Familie aussucht, in die man hineingeboren wird. Doch selbst eine Hermine Tippelt, die Kommunistin gewesen war, musste sich als Deutsche nach dem Krieg mit einer Armbinde (in diesem Falle einer roten) als Fremde kennzeichnen und war durch das Rot in der Tschechoslowakei, nicht etwa geschützt, sondern allen Seiten nicht zugehörig.

Berührend auch, was über die letzten Tage des greisen Dichters Gerhart Hauptmann zu erfahren ist, der seine Heimat unter keinen Umständen verlassen wollte und der Roten Armee auf Grund seiner sozialkritischen Dramen als schützenswert galt.

Es erweist sich als notwendig sich auch mit diesen Schicksalen jenseits der Grenzziehungen in Täter und Opfer zu beschäftigen. Nur so können alte Wunden zu heilen, ohne neue entstehen zu lassen, latente Ängste auf verschiedene Weise Betroffener aufgelöst werden.

Europa rückt in der Gegenwart enger zusammen. Dazu gehört auch zu begreifen, was es bedeutet, am Heimatort zu bleiben, aber die eigene Sprache zu verlieren und damit an eigener Identität einzubüßen, zu individueller Spielmasse bei der Begleichung nationaler Schuld zu werden.

Es ist ein spannendes Buch, das zu lesen lohnt.



Dorle Gelbhaar





"Als die Deutschen weg waren. Was nach der Vertreibung geschah: Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland". WDR: Das Buch zur Fernsehserie, Rowohlt Berlin Verlag GmbH 2005, 316 Seiten, gebunden, 19,90 Euro, ISBN 3-87134-509-9

0 Kommentare
Noch keine Kommentare