Rappelvoll mit über 500 Zuhörern war am Dienstag das Foyer der Internationalen Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg. Das Kulturforum hatte zu einer Podiumsdiskussion zum Thema "Notstand Kultur" eingeladen. Der ursprünglich vorgesehene Saal erwies sich als viel zu klein, und so musste rasch in die Vorhalle des Kulturzentrums ausgewichen werden.
Das letzte Aufgebot
Der Hamburger Senat hatte in diesen Wochen mit seinen Sparplänen im Kultursektor bundesweit vernichtende Kritiken eingefangen. Der neue Kultursenator Reinhard Stuth (CDU) ist erst wenig mehr als sechs Wochen im Amt. In dieser kurzen Zeit ist es ihm spielend gelungen, sich zum bestgehassten Menschen in der Kulturszene zu machen. Vor etwas mehr als einem Jahr erst wurde ihm, dem damaligen Kulturstaatsrat, in der Kulturbehörde abrupt der Stuhl vor die Tür gesetzt, weil weder die damalige Kultursenatorin Karin von Welck noch die Mitarbeiter seiner Behörde weiter mit ihm zusammenarbeiten wollten. Von rüden Umgangsformen, Führungsschwäche und Inkompetenz war damals die Rede. Jetzt wurde Stuth reaktiviert und zum Senator befördert - als letztes Aufgebot, nachdem der neue Bürgermeister Ahlhaus (CDU) zunächst sogar ganz auf einen Kultursenator verzichten wollte und Alternativkandidaten anschließend gleich dankend abgewunken hatten.
Kulturpolitische Inkompetenz
Der neue Kultursenator scheint fest entschlossen, sich - wenn schon nicht bei den Hamburgern - so doch wenigstens bei seinem Bürgermeister beliebt zu machen: Ohne irgend ein Vorgespräch mit den Betroffenen zu führen dekretierte er die Schließung des traditionsreichen Altonaer Museums zum Jahresende - das soll 3,5 Millionen an Einsparungen bringen. Dem Schauspielhaus - mit 1200 Plätzen Deutschlands größte Sprechbühne - soll ab 2011 der Etat um jährlich 1,2 Millionen Euro gekürzt werden, das sind fast 50 Prozent des künstlerischen Etats. Die öffentlichen Bücherhallen, seit Jahren ohnehin von Kürzungen der Zuwendungen gebeutelt, sollen in den nächsten zwei Jahren noch einmal je eine Million einsparen, in den beiden folgenden Jahren dann jährlich 1,5 Millionen - ohne Schließung von Standorten, dafür vielleicht mit Gebührenerhöhungen und drastischer Verkürzung der Öffnungszeiten, wie der Senator vollmundig verkündete. Dann war er erst einmal verschwunden. "Der Senator weilte dort, wo Hamburgs politische Kompetenz für Kultur in den vergangenen neun Jahren (seit dem Antritt des CDU-geführten Senats, d.Red.) war. Im Urlaub", wie die "FAZ" sarkastisch vermerkte.
Anfang vom Ende
Auch zu der Veranstaltung auf Kampnagel hatte der Senator abgesagt, weil er lieber zeitgleich in einer Radiosendung des NDR Fragen beantworten wollte. So war die Stimmung schon vor Beginn mächtig aufgeheizt, auch auf dem Podium, wo der Direktor des Altonaer Museums Torkild Hinrichsen zu Beginn zur drohenden Schließung seiner fast hundertfünfzigjährigen Einrichtung bitter beklagte: "Wir erleben die totale Vernichtung eines Instituts. Was dort vernichtet wird, ist das Herz von Altona". Und befürchtete, dass diese Schließung ein bundesweites Museensterben nach dem Hamburger Modell nach sich ziehen könnte: "Das wäre eine Hamburg-Werbung negativster Art, das wird kein Marketing jemals wieder auffangen können." Der künstlerische Leiter des Schauspielhauses Florian Vogel erklärte, was die ihnen auferlegten 1,2 Millionen Kürzungen bedeuten: "Man trocknet unser Haus aus. Die Kürzungen bedeuten den Anfang vom Ende unserer künstlerischen Arbeit." Erbost zeigte sich die Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard über die unausgegorenen, inkompetenten Vorschläge aus der Politik, wie die Intendanten mehr Zuschauer gewinnen könnten. "Was glauben die denn, was wir tun? Wir machen uns jeden Abend einen Kopf, wie wir das Haus voll bekommen."
Rat vom "Apo-Fuzzi"
Der souveräne Moderator der Gesprächsrunde, Ulrich Greiner von der "Zeit", machte keinen Hehl aus seiner Solidarität mit den Protestierenden. Zu deren Verstärkung saß Jürgen Flimm auf dem Podium. Der Intendant der Berliner Staatsoper, von 1985 bis 2000 Intendant des Hamburger Thalia Theaters, verwies darauf, dass es auch zu seinen Zeiten Sparrunden gegeben hätte. Kürzungen wie die von 1,2 Millionen beim Schauspielhaus jetzt ohne Vorgespräche, das habe es nicht gegeben. Dies müsse zurückgenommen werden, ohne Wenn und Aber. Aber er warnte auch: "Es bringt nichts, nur zu sagen, Politiker sind doof und Senator Stuth weiß nicht, dass man 'Goethe' mit 'h' schreibt. Mit Witzen kommen wir nicht weiter. Als alter APO-Fuzzi sage ich, wir müssen eine Strategie entwickeln, wie man vorgeht. Wir wissen doch, wo der Gegner steht." So hätte er auch keine Einwände gegen eine Erhöhung des Einnahmesolls. Das sei auch keine Einschränkung der Kunst: "Die Theaterpolizei schreitet nicht ein, wenn das Haus voll ist", meinte er und riet, auch ruhig mehr Inszenierungen aufzunehmen, die für volle Häuser sorgen.
Rot und Grün in der Kritik
Doch nicht nur die Regierung, auch die SPD als Oppositionspartei geriet in die Kritik. Wo bleibt die SPD in diesem Konflikt, so Flimms Frage, "man hört sie gar nicht." Als "Noch-Hamburger" fühlte er sich "tief verlassen von den Grünen und von der SPD". Dem Hamburger SPD-Vorsitzenden Olaf Scholz gelang es in seinem Redebeitrag nur unvollkommen, diese Kritik der Podiumsteilnehmer und des Publikums an den Sozialdemokraten zu zerstreuen. Voll ins Fadenkreuz geriet aber der grüne Koalitionspartner der CDU. Ulrich Greiner, der Moderator, zeigte sich verstört: " Theaterintendanten und Kultur haben sich früher hier vor der SPD gefürchtet. Das Verhalten der Grünen jetzt ist mir rätselhaft."
Das Schweigen der Grünen
Da hatte der Vertreter der Grünen auf dem Podium keinen leichten Stand: Dem ehemaligen Senator Wilfried Maier - ein Politiker a.D., wie er betonte - fiel die undankbare Aufgabe zu, das Schweigen der grünen Senatorinnen und Senatoren gegenüber den Sparplänen des CDU-Koalitionspartners vor der aufgebrachten Kulturszene erläutern zu müssen. Das konnte kaum gelingen, und es gelang auch nicht. Ein Redner aus dem Publikum machte deutlich, wie tief die Enttäuschung ist: Viele im Saal haben wohl die grüne GAL gewählt. Jetzt erbittere ihn das "elende, feige Schweigen" der mitregierenden Grünen.
Unhanseatisch Rabatz machen
Ganz praktisch wurde dann noch einmal Jürgen Flimm. Die Nachfolge für den zurückgetretenen Intendanten des Schauspielhauses Friedrich Schirmer stehe aus. Das müsse man nutzen. Flimm, in der Intendantenszene hervorragend vernetzt, warnte alle potentiellen Kandidaten: Wer den Kahlschlag für das Schauspielhaus akzeptiere, der würde seines Lebens nicht mehr froh werden. Und das klang ganz so, als würde Flimm auch persönlich dafür sorgen wollen. Angesichts der vielen Freundeskreise und Fördervereine der Hamburger Kulturinstitutionen, die sich bislang noch etwas hanseatisch zurückhielten wunderte er sich: "Dass diese Leute sich nicht längst zusammengesetzt haben, etwa im Schauspielhaus, verstehe ich überhaupt nicht. Die Bürger müssen sich jetzt wehren, da muss ganz unhanseatisch Rabatz gemacht werden."
ist Mitarbeiter der vorwärts-Redaktion, Geschäftsführer a. D. des vorwärts-Verlags und ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg.