Kultur

Auf der Suche nach der verlorenen Gerechtigkeit

In „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ analysiert der französische Ökonom Thomas Piketty schonungslos die zunehmende Ungleichheit. Nun hat der dafür den Preis „Das politische Buch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung erhalten.
von · 21. Mai 2015
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Dass sowas geht: einen Wälzer von 800 Seiten schreiben, in dem es von Statistiken und Wirtschaftsfachbegriffen nur so wimmelt – und damit einen Weltbestseller landen. Dank Thomas Piketty ist Kapitalismus-Kritik wieder salonfähig geworden, der französische Wirtschaftsprofessor weltweit sehr gefragt.

Seit Mittwoch kann Piketty sich über eine weitere Anerkennung freuen: Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zeichnete sein Werk „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ mit dem Preis „Das politische Buch“ aus.  Dieser wird seit 1982 jährlich vergeben, zu den bisherigen Preisträgern gehören u.a. Richard Sennett und Václav Havel – Thomas Piketty befindet sich also in bester Gesellschaft.

In seinem Buch analysiert der Franzose die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft. Er nutzt einen historisch-komparativen Ansatz, um die Veränderung von Vermögens- und Einkommensverteilung zu analysieren. Und stellt fest, dass die zunehmende Ungleichheit, ein wesentliches Merkmal des Kapitalismus, Demokratie und Wirtschaft bedroht. Piketty möchte nicht nur analysieren – nein, der Mann hat eine Agenda.

Beitrag zur Demokratisierung

Klaus Hohlfeld, Vorsitzender der Jury von „Das politische Buch“, lobte denn auch ausdrücklich Pikettys „Forderung nach Umdenken“.  Seine Analyse fordere zum „aktiven Gegenwirken“ heraus. Der FES-Vorsitzende Kurt Beck betonte in seiner Begrüßungsrede die „Impulse für die weitere Debatte“, die Pikettys Buch gebe. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz stellte die Wichtigkeit von Pikettys Thesen für die Demokratie heraus, insbesondere für die Sozialdemokratie. Es gehe darum, so Scholz, wie soziale Gerechtigkeit herzustellen sei. Gerecht sei „was den Einzelnen als Teil der Gesellschaft stärkt“.

Thomas Piketty selbst freute sich sichtlich über die warmen Worte, entschuldigte sich für sein Englisch, „welches mehr wie Französisch klingt“, und kam direkt auf sein Herzensthema zu sprechen: Europa. Sein Buch, wünscht sich Piketty, solle zu dessen Demokratisierung beitragen. Der Blick in die Geschichte zeige: Es gebe keine einfache Lösung für die gegenwärtigen Wirtschaftsprobleme – aber es gebe verschiedene Lösungen.

Leider, so Piketty, versuchten die EU-Länder immer noch, die Probleme nur in ihrem jeweiligen Land zu lösen. Dabei könne man von anderen Ländern und deren Erfahrungen lernen. Zwei konkrete Vorschläge hat Piketty für die EU: eine Vereinheitlichung und Vereinfachung der Steuersysteme sowie die Einrichtung einer eigenen parlamentarischen Kammer für die Eurozone.

„Haben die Griechen mehr Fehler gemacht als die Deutschen?“

In der von „Zeit“-Redakteurin Petra Pinzler moderierten Diskussion ging es anschließend nicht ganz so gemütlich zu, wie man es vielleicht von derartigen Preisverleihungen gewohnt ist. Thomas Piketty zählt eben nicht nur zu den umschwärmten, sondern auch zu den streitbaren Ökonomen. Den von der deutschen Regierung gegenüber Griechenland vertretenen Sparkurs hält Piketty für falsch – was er Diskussionspartner Olaf Scholz auch in deutlichen Worten mitteilte: „Die Deutschen haben ihre Kriegsschulden in den 1950er Jahren nicht zurückgezahlt. Das war kein Problem. Haben also die Griechen mehr Fehler gemacht als die Deutschen, dass ihnen nun diese Sparpolitik aufgedrängt wird?“ Scholz fand das „eine gute rhetorische Frage“, die Situation von Deutschland damals und Griechenland heute könne man aber natürlich nicht vergleichen.

Für seine nächsten Forschungsprojekte wird Thomas Piketty Europa – zumindest aus wissenschaftlicher Sicht – den Rücken kehren. Er freue sich, so der frisch gebackene Preisträger, mehr Zeit in Entwicklungsländern zu verbringen: „Man kann eine Menge aus den Erfahrungen dort lernen.“ Vielleicht schafft Piketty es ja, sich in seinem nächsten großen Werk kürzer zu fassen –  seine selbstkritische Einschätzung: „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ sei doch „etwas zu lang“ gewesen.

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