Kultur

Auf der Jagd nach dem Teddy

von Martin Schmidtner · 12. Februar 2014

Neben den Goldenen und Silbernen Bären ist der Teddy als offizieller Preis der Berliner Filmfestspiele eine begehrte Trophäe – schon so manchem Film brachte die Auszeichnung neben internationaler Aufmerksamkeit einen Verleih und internationale Distribution ein.

Um den Teddy wetteifern Produktionen aus allen Sektionen des Filmfestivals, die „queere Themen auf einer breiten gesellschaftlichen Ebene kommunizieren und somit einen Beitrag für mehr Toleranz, Akzeptanz, Solidarität und Gleichstellung in der Gesellschaft leisten.“

Manche mögen diesen Preis inzwischen für anachronistisch und überholt halten, doch ist dies eine elitäre Großstadt-Haltung. Beispiele der Unterdrückung aus Afrika, Indien und dem Nahen Osten, Beispiele von religiösem Fundamentalismus aus den USA ebenso wie kirchliche Unterstützung für homophobe Gesetzgebung und brutale Übergriffe in Russland strafen solche Überlegungen Lügen.

Der Teddy spielt eine wichtige Rolle

Und vor unserer eigenen Haustür? Da blockiert die CDU/CSU mit aktiver Unterstützung der Kanzlerin nach wie vor die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe und aus Baden-Württemberg rollt eine kontra-aufklärerische pietistische Welle an, wie sie bereits Frankreich erschüttert hat. Ganz zu Schweigen von der Situation transsexueller und transidentischer Menschen, die noch weit davon entfernt sind, eine gesellschaftliche Lobby zu bilden.

Nein – die Würdigung durch den Teddy ist nach wie vor wichtig sowie emanzipatorisch. Diversity ist hier nicht nur thematisch Programm: neben gut finanzierten Produktionen mit prominenter Besetzung finden sich in dieser Sparte unabhängige Low-Budget-Produktionen, die in ihren Heimatländern manchmal gar nicht erst gezeigt werden dürfen.

Zu kurz seien in diesem Jahr die Filme mit lesbischer Thematik gekommen, so ein Protest zum Festivalbeginn – natürlich können wir das Auswahlprozedere nicht beurteilen, aber tatsächlich gab es in den zurückliegenden 20 Jahren immer wieder stärkere und schwächere Strömungen und Ausrichtungen. Sehr oft sogar einen deutlich lesbischen Schwerpunkt. Wir neigen deshalb eher dazu, die im Protest benannten „Branchenkenner“ anzuzweifeln.

Neben den offiziellen Gala-Vorstellungen sind es vor allem die Filme aus dem Teddy-Programm, die meist als erstes ausverkauft sind – und auch uns Akkreditierten gelingt es oft nicht, jeden Film zu sehen, den wir uns ausgesucht haben. Die Verleihung der Teddys findet im Rahmen einer Gala statt – in diesem Jahr am Freitag, den 14. Februar, in der Komischen Oper.

Fünf Spielfilme aus Wettbewerb und Panorama

Doch unabhängig davon, wer am Freitag mit der knuddligen, von Ralf König gestalteten Auszeichnung nach Hause reisen darf, geben wir hier schon mal unseren ersten Streifzug durch unser persönliches – in unserem Fall tatsächlich deutlich auf schwule Themen ausgerichtetes – Programm:

Peccata Mundi, die erste: Viharsarok (Land of Storms) Panorama Special

Viharsarok ist ein Landkreis in Ungarn. „Irgendwo im Nirgendwo“, sagt die Hauptfigur, Szabo, selbst einmal im Film. Irgendwo liegt in der ungarischen Puszta. Eine Landschaft, in der laut englischem Filmtitel der Sturm losbricht, der ein emotionaler Orkan in Leben von Szabo auf dem schwierigen Weg seiner Selbstfindung ist.

Es gibt dort ein einsames Haus, das Haus seines Großvaters, in das Szabo zurückkehrt, nachdem er in Deutschland aus einem Fußball-Nachwuchs-Kader flog, weil er in der Dusche einen Mannschaftskameraden angegriffen hat. Irgendwo gibt es auch ein Dorf in der Nähe dieses Hauses und es gibt auch Dorfbewohner. Doch es ist eine einsame Welt – tatsächlich und emotional – in der Szabo sein Leben neu zu ordnen versucht. Die Dorfgemeinschaft als solche tritt vor allem dann in Erscheinung, wenn sie sich zum Gottesdienst versammelt und man spürt die Macht und den Einfluss der Kirche auf das Leben der Menschen in jenen Szenen. Dem Gottesdienst wohnen wir filmisch immer zum Abendmahl bei, dem Sinnbild der Opferung Gottes für die Sünden der Menschen – doch erst am Ende des Filmes, als das Agnus Dei, das „Christe, Du Lamm Gottes, der Du trägst die Sünd‘ der Welt“ nicht nur von den Dorfbewohnern gesungen wird, sondern uns in Dolby-Qualität erdrückt, dann erst verstehen wir, wer hier Sünder ist und wer das Opferlamm!

Doch dieses Ende ist auch das erste und einzige Mal, dass der Regisseur Ádám Császi, der hier sein Regiedebut vorstellt, zu solch einem Holzhammer greift. Der Rest des Films lebt von einem – wie Császi es selbst nennt, „visuellen Minimalismus“, der die Kraft von Bildern über das gesprochene Wort stellt. Mit Kameramann Marcell Rév gelingt es ihm, uns als Zuschauer fast atemlos gefangen zu halten. Ein Verdienst aber auch und vor allem der drei Hauptdarsteller, allesamt bis dahin filmische Laien, die mit solch einer Hingabe in ihren Rollen aufgehen, dass es schwer fällt, wenn sie hinterher im Kino den Applaus abholen, nicht Szabo, Áron oder Bernard, sondern András Sütö, Ádám Varga und Sebastian Urzendowsky in ihnen zu sehen.

In ihrem Spiel und durch die Ästhetik des Films denken wir sehr oft an den etwa zeitgleich gedrehten Film „Freier Fall“ von Stephan Lacant (Berlinale 2013), nicht nur weil András Sütö oft wie ein jüngerer Bruder von Max Riemelt wirkt, sondern weil die Annäherung zwischen den Männern ebenso behutsam und einfühlsam wie leidenschaftlich von der Kamera eingefangen wird.

Für die Werbung des Films wird im Zusammenhang mit der Berlinale nun gerne das Coming-Out des ehemaligen Nationalspielers Hitzlsperger genannt, denn auch Szabo ist Fußballspieler und die Schlägerei am Anfang des Films in der Dusche – Jens Lehmann wird zustimmend nicken – entsteht aus einer latent homoerotischen Situation. Szabo soll nach Wunsch seines Vaters Profifußballer werden, doch er merkt, dass ihm seine Gefühle im Weg stehen und orientiert sich neu.
Mit sich und seinen Gefühlen allein in der Einsamkeit der Puszta lernt er, dass sie wichtiger sind als seine Karriere oder sein Vater. Und er lernt die Liebe kennen – zu Áron und zu seinem ehemaligen Mitspieler Bernard.

Dennoch ist Viharsarok weit mehr als ein Coming-Out-Film: es geht nicht nur um das Entdecken und Bejahen der eigenen Identität, was schwierig genug ist, sondern um die Reaktion einer feindlichen weil unwissenden Gesellschaft – in diesem Fall der ländlich-ungarischen, aber diese ist wohl austauschbar. Natürlich könnte Szabo wie Áron versuchen, seine Gefühle vor der Umwelt geheim zu halten oder er könnte zurück nach Deutschland, wo er wie Bernard vielleicht Schwierigkeiten als Fußballer hätte, aber ansonsten ein liberaleres Umfeld fände. Doch Szabo will genau das sein, was er ist und will es dort sein, wo er ist. Vor dem Ende des Films gibt es wunderbare Momente einer Vision, wie dies aussehen könnte.

Sebastian Urzendowsky, András Sütő, Ádám Varga,  Foto: Marcell Rév

Nach all den Nachrichten, die wir politisch in den letzten beiden Jahren aus Ungarn lesen, ist dieser Film eine Hoffnung – doch leider beruht das Drehbuch auf einer tatsächlichen Kriminal-Meldung, die den Regisseur und Drehbuchautor aufgeschreckt hat. Sein Credo als Gegenentwurf: „Über das Anders-Sein muss man permanent sprechen, sonst kann man es nicht verstehen. Die Kunst hat die Pflicht das Thema auf die Bühne zu bringen.“

Es ist ihm gelungen - und ein Glück, dass der Film sowohl in Ungarn als auch in Deutschland, Polen, Frankreich, Großbritannien und den USA bereits einen Verleih gefunden hat. Ein Teddy würde helfen, dass es noch mehr werden.

Peccata Mundi, die zweite: Calvary (Panorama Special)

Einem katholischen Priester wird im Beichtstuhl eine Ankündigung gemacht: „Ich wurde als Kind von einem Priester missbraucht. Ich werde Dich in einer Woche töten – weil auch Du unschuldig bist. Du hast eine Woche Zeit, Dein Haus in Ordnung zu bringen“.

Kalvarienberg wird zumeist die bildliche Darstellung des Leidensweg Christi genannt – auch ist es der lateinische Name von Golgatha. Der unschuldige und gute Priester also, der für die Sünden seiner Kirche sterben soll wie einst Christus und noch eine Woche Zeit für seinen persönlichen Kreuzweg bis Golgatha hat. Da er ans Beichtgeheimnis gebunden ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Woche zu nutzen, den zukünftigen Mörder unter den Schafen seiner ländlichen Gemeinde ausfindig zu machen und von der Tat abzuhalten.

Er selbst ist kein geradliniger Kirchendiener. Er war vor dem Priestertum verheiratet, hat eine erwachsene Tochter, mit der ihn ein schwieriges Verhältnis verbindet und ist zudem dem Alkohol zu sehr zugeneigt.

Kelly Reilly und Brendan Gleeson Foto: Berlinale Filmstills

Es sind extrem skurrile Charaktere, die sich in dieser Gemeinde versammeln – beim Abendmahl sehen wir sie alle zum ersten Mal. Der Priester selbst lernt sie während der Woche besser kennen als ihm je lieb war und er sieht auch schnell, dass es mit einem schwarzen Schaf in seiner Gemeinde nicht getan ist.

Härtester schwarzer Humor schlägt uns in diesem Film entgegen. Und deshalb auch reichlich verstörend: Missbrauchsdebatte als Krimi-Komödie? Schwierig, schwierig…aber sehr unterhaltsam!

Regisseur und Drehbuchautor John Michael McDonagh und Hauptdarsteller Brendan Gleeson waren bereits 2011 mit The Guard auf der Berlinale. Diesmal ist es ein Werk zwischen Lachen und Entsetzen. – Ins Teddy-Programm gehört es nur bedingt, aber wir sind gespannt, ihn irgendwann mit englischen Untertiteln zu sehen – denn das Irisch ohne Untertitelung war für einen Film, der wie den Reaktionen der Muttersprachler und besser Englischkundigen zu entnehmen war, vor allem durch seinen Wortwitz lebt, eigentlich ein klein wenig zu viel des Guten! Verleih oder Berlinale hätten gut daran getan, eine Kopie mit Untertitelung zu zeigen.

Das Kreuz mit der Kirche, die dritte: Love Is Strange (Panorama Special)

39 Jahre sind der 71jährige Ben (John Lithgow) und sein etwas jüngerer Partner George (Alfred Molina) bereits ein Paar, doch erst jetzt können sie sich das offizielle Jawort geben. Doch was ihre lange Liebe krönen sollte, wird ihnen zum Verhängnis, denn George ist Musiklehrer an einer katholischen Schule und der zuständige Bischof erfährt von der gleichgeschlechtlichen Zeremonie. Obwohl George an der Schule nie ein Geheimnis aus seiner Beziehung gemacht hat und Kollegen sowie Eltern informiert sind, wird er nun auf bischöfliche Weisung fristlos entlassen. – Ihr Apartment müssen die beiden verkaufen, um zu Geld zu kommen und etwas Neues findet sich nicht leicht in New York City. Da passt es doch hervorragend, dass die beiden Freunde und Familie haben, die auf der Hochzeit geschworen hatten, die Liebe der beiden zu unterstützen. Doch so leicht ist es dann doch nicht: zum ersten Mal seit so vielen Jahren müssen sie getrennt leben: Ben bei seinem Neffen und dessen Frau und Sohn, George bei einem befreundeten jüngeren Polizisten-Homo-Paar.

Alfred Molina und John Lithgow, Berlinale Filmstills

Bei aller Tragik bringt uns Regisseur und Drehbuchautor Ira Sachs, der 2012 für Keep The Lights Oneinen Teddy mit nach Hause nehmen durfte, extrem amüsante Szenen – wenn etwa George bei dröhnender Musik oder Rollenspielabenden der quirligen Cops und ihrer Freunde darauf warten muss, dass das Sofa endlich zum Schlafen frei wird, oder wenn Kate ihrem Schwiegeronkel zu verklickern versucht, dass sie als Schriftstellerin ungestört arbeiten muss, während er herrlich vertüttelt immer wieder Konversation mit ihr beginnt. Überhaupt: zwei Darsteller wie Lithgow und Molina für das Projekt zu gewinnen, kann gar nicht genug gewürdigt werden. Sie spielen das alte schwule Paar überzeugend und ohne übertriebenen Schnickschnack.

Dass sie überhaupt ein schwules Paar sind, ist eigentlich nur für die handlungsvorantreibende kirchliche Diskriminierung von Bedeutung – in erster Linie ist Love Is Strange genau das, was der Titel verrät: ein Film über Liebe und die Möglichkeiten, Liebe zu leben. Dem alten schwulen Paar (und allein das verdient fast einen Spezialbären: endlich mal eine Liebesgeschichte mit einem Paar jenseits der 60) steht mit Kate und Bens Neffen Charlie ein Paar mit den Höhen und Tiefen der Midlife-Jahre gegenüber und mit deren Sohn Ted wiederum ein Teenager, der die Liebe erst entdecken muss.

Neben Witz und Schauspiel ist es die Kameraarbeit, die den Film so wunderbar und behutsam romantisch macht. – Eine Fahrt in den Sonnenuntergang als Ende des Films geht ja eigentlich seit den siebziger Jahren schon nicht mehr. Bei Christos Voudouris aber schlucken wir das ohne Murren. Wunderbar auch der Kamerastillstand zwischen einzelnen Filmkapiteln, beispielsweise minutenlang auf ein Diner an einer belebten Straßenkreuzung oder auf New Yorker Hinterhöfe vom Dachgarten eines Hauses aus. Es sind Momente des Stillstandes, die den Gedanken freien Lauf lassen!

Wie läuft eigentlich das Casting zu einem solchen Film ab? Oft anders als man denkt, lernen wir. Ted lernt ein Mädchen kennen, mit dem er Skateboard fährt. Für diese Einstellung fand ein Videocasting statt, doch als am Drehtag in New York eine Straße gesperrt wurde und die Kameras liefen, stellte sich heraus, dass der Vater des Mädchens falsche Angaben zu den Skateboard-Künsten seiner Tochter gemacht hatte. Wie es schien, war ein ganzer aufwendiger Drehtag im Eimer. Doch als schon alles abgeblasen werden sollte, rollte auf der Nebenstraße ein Mädchen auf dem Skateboard vorbei, die nach drei Blocks vom Produzenten eingeholt werden konnte. Sie machte mit, die Szene war im Kasten und sie hatte eine tragende Rolle in einem Spielfilm – solche und andere Anekdoten boten der redebereite Regisseur und ein noch redseliger John Lithgow bei der Vorstellung des Films im Zoo-Palast.

Ansehen!

Im Korsett seiner Zeit: Yes Saint Laurent (Panorma Special)

Und noch einmal geht es um eine langjährige Liebe und Partnerschaft. Beginnend mit dem Jahr 1957, als Yves Saint Laurent persönlicher Assistent bei Altmeister Christian Dior wird, werden Schlaglichter seines Lebens mit Kommentaren aus der Sicht seines Lebens- und Geschäftspartner Pierre Berge in Szene gesetzt.

In passenden opulenten Bildern und mit einer wunderbaren Kostüm-Ausstattung erleben wir den Aufstieg und Erfolg des Mode-Designers. Immer wiederkehrend zeigen die Haute Couture-Schauen im Frühjahr und Herbst nicht nur die zunächst klassischen und später avantgardistischen Kreationen des Künstlers, sondern auch den Wandel von kleinen Präsentationen für ausgewähltes Publikum aus dem Kreis der führenden Mode-Journale zu den Catwalk-Events der späteren Jahre.

Doch es geht um weit mehr als um die Biographie eines Design-Genies. Es geht vor allem um den Menschen Yves Saint Laurent. Wir lernen einen Mann kennen, der sein Leben lang auf der Flucht vor sich selbst und seiner Vergangenheit ist.  Eine wenig unterstützende Mutter, die Kindheit im französischen Algerien, seine Weigerung, im Algerienkrieg zu kämpfen und seine Homosexualität treiben ihn um: zwischen Anpassung an die Konventionen und an das Korsett seiner Zeit auf der einen und versuchten Ausbrüchen aus seinen Gefängnissen auf der anderen Seite, die dann fast zwangsläufig in selbstzerstörerische Impulse münden.

„Manisch-depressiv“ nannte man dies damals und verschrieb ihm Medikamente, von denen er immer abhängiger wurde. Sein Partner steht ihm nahezu immer loyal zur Seite, wird aber zunehmend von der Verantwortung für ihre beiden Leben überfordert.

Zweimal erleben wir Yves Saint Laurent richtig glücklich: einmal als er frisch verliebt mit seinem Partner durch Australien reist und sie alles hinter sich lassen – und immer dann, wenn er für die großen Mode-Schauen am Zeichenblock und im Atelier arbeitet. Alles dazwischen ist für ihn eine Last.

Diese Last abzustreifen scheint ihm nie wirklich zu gelingen – am besten gelingt es, wenn er weg von Paris ist, mit Freunden und Bohemiens in Marokko beispielsweise. Oder wenn er schöne Dinge und Kunstwerke für die gemeinsame Wohnung kauft, ohne auf den Preis zu achten. Oder aber nachts an den Ufern der Seine, wo er schwules Cruising genießt. Am besten aber leider zunehmend durch Alkohol, Drogen und Tabletten.

Am Leben erhält ihn neben seinem Partner seine Leidenschaft für die Arbeit. Was er tun würde, wenn der Kommunismus käme, wird er gefragt, als er mit Freunden bekifft in einer Bar in Marrakesch sitzt und im Fernsehen die Bilder von den brennenden Barrikaden aus Paris flimmern. „Nun, ich würde Kleidung entwerfen…Arbeitskittel…und Arbeitskittel…und vielleicht Arbeitskittel“!

Viel Zeitgeist rauscht in den opulenten Bildern vorbei – ganz wunderbar zum Beispiel der junge Karl Lagerfeld (Nikolai Kinski).
Doch vor allem ist es die schauspielerische Leistung der beiden Comédie-Française-Akteure Pierre Niney als Yves Saint Laurent und Guillaume Gallienne als Pierre Berge, die uns mitreißt. Pierre Nineys Nesteln an der Brille, der scheue Blick von unten und die stolzgeschwellte Brust rühren ebenso an wie die Traurigkeit im Blick von Guillaume Gallienne, als er erkennt, dass er vom Liebhaber stetig zum Pfleger seines Partners wird.
Regisseur Jalil Lespert ist eine Biographie gelungen, die ihre Personen weder idealisiert noch Bilderstürmerei betreibt. Er zeigt vielmehr einen Menschen und dessen Überlebenskampf – das macht den Film auch für Menschen ohne Affinität zur Modewelt extrem sehenswert!

Der echte Pierre Berge war zur Premiere im Zoo-Palast angereist. Auch ihm scheint das Ergebnis gefallen zu haben.

Pierre Niney, Guillaume Gallienn, Foto: Tibo & Anouchka - SquareOne/Universum

Männer, die Helden werden: Praia do Futuro (Wettbewerb)

“Praia do Futura“ heißt auf Deutsch „Strand der Zukunft“ – es ist ein zwar schöner, wegen seiner Unterströmungen jedoch gefährlicher Strand an der brasilianischen Küste in Nachbarschaft zum bekannteren Iracema-Strand von Fortaleza, der Heimat des brasilianischen Regisseurs Karim Aïnouz.

Donato (Wagner Moura) lebt und arbeitet dort bei der örtlichen Feuerwehr als Rettungsschwimmer. Ob glücklich oder nicht, wissen wir nicht, jedoch wird er von seinem etliche Jahre jüngeren Bruder Ayrton (Jesuita Barbosa) verehrt, dem er so gerne die Angst vor dem Wasser und dem Meer nehmen möchte. Ayrton wiederum lässt sich diese Phobie nicht ausreden, bewundert aber seinen Bruder abgöttisch – für ihn ist der Lebensretter der „Aquaman“, ein Superheld und das Spiel der beiden Brüder dreht sich immer um Helden und um Kampf.

Konrad (Clemens Schick) ist auch ein Held. Ein echter Kriegsveteran. Er war in Kunduz in Afghanistan stationiert und besitzt eine Motoradwerkstatt in Berlin. Ein echter Mann, der mit seinem besten Kameraden vom Bund durch die Welt reist. Brasilien sollte die letzte Reise sein; der Freund wollte zurück zu Frau und Sohn und ein weiteres Kind zeugen (!!!). Zu wildem und sehr lautem Punkrock brausen die beiden mit Motorcross-Maschinen über den „Strand der Zukunft“ und stürzen sich in die Wellen – wilde Musik und echte Kerle – das verstehen wir sofort! Doch das Idyll hat ein Ende, als sie von der Strömung erfasst werden. Rettungsschwimmer Donato kann Konrad retten, für dessen Freund kommt seine Hilfe jedoch zu spät.

Hier beginnt die eigentliche Geschichte des einzigen Films aus dem Teddy-Programm, der es in den Wettbewerb der Berlinale geschafft hat. Erzählt wird sie in drei Kapiteln: 1) Umarmung eines Ertrinkenden, 2) Ein zweigeteilter Held und schließlich 3) Ein Geist, der Deutsch spricht.

Und ab da wird es auch schwierig, denn Männer reden ja bekanntlich nicht viel – echte Männer und Helden schon gar nicht. Die wenigen Dialoge laufen ins Leere: „Du hast gelernt, alles normal zu finden! Du bist gewöhnt, dass Leute sterben“ schreit Konrad Donato an, als der Leichnam seines Freundes nach etlichen Tagen noch immer nicht gefunden wurde – allerdings war Donato bis dahin der, der sich um Konrad kümmerte, der wiederum bis zu diesem Ausbruch keinerlei Zeichen von Trauer oder Bestürzung zeigen konnte. – Nein, per Dialog kommen sich die beiden nicht näher. Das geht nur über die sexuelle Anziehung, über die auslösende „Umarmung eines Ertrinkenden“.

Aber auch das macht es nicht leichter: denn Sex ist in diesem Film echter harter Männersex – also das, (Vorsicht: Ironie!) was Männer brauchen, um Trauer, Schmerz, Aggression oder irgendein anderes Gefühl, das sie sonst nicht zeigen können, abzubauen. Und wenn es dann auch noch um Penetration geht, dann ist entscheidend, wer oben und wer unten liegt, wer zustößt oder wer empfängt. (Ironie Ende)

Die deutsch-brasilianische Koproduktion ist kein Film der Dialoge, sondern ein Film der Bilder. Sehr platte Bilder manchmal, extrem ausdrucksstarke an anderer Stelle. Vom farbenfrohen bunten Brasilien geht es für Konrad und Donato ins winterliche und graue Berlin. Verzweifelt sucht Donato nach Farbflecken wie dem ersten Frühlingsgrün an den Bäumen. „Berlin ist für mich wie Phoenix. Ein alter Mann in Gestalt eines Jünglings. Eine Stadt mit so vielen Wunden, die sich in einem permanenten Prozess befindet – eine Stadt, die auf die Zukunft ausgerichtet ist. Wie der „Praia do Futuro“ ist auch Berlin auf Sand gebaut“ erklärt der Regisseur sein Affinität zu Berlin.  Es ist die Stadt, die Donato braucht, um sich selbst und seine Identität zu finden. Und es ist die Stadt, in der Konrad schließlich Donato retten darf.
Warum das nur gelingt, indem Donato alle Brücken nach Brasilien und seiner Familie abbricht – diese Antwort bleibt der Film selbst schuldig. Vielleicht weil ein Mann tun muss, was ein Mann tun muss???!

„Ich gehöre einer Generation an, die die Welt retten wollte und für die Risikobereitschaft obligatorisch war“ erklärt Regisseur Karim Aïnouz. „Alles abzubrechen und hinter sich zu lassen und etwas Neues zu erschaffen, hat mich immer fasziniert“.

Einer seiner prägenden Filme sei Fassbinders Angst essen Seele auf gewesen. Er wolle in seinem Film Charaktere zeigen, die zwar nicht immun gegen Angst sind, diese Angst jedoch überwinden, um zu sich selbst zu finden, Helden also! Mut füttert die Seele hätte in Anlehnung an Fassbinder ein Alternativtitel für seinen Film sein können.

Schön ist es, wenn ein Film ohne erklärende Worte des Regisseurs verstanden werden kann – wir haben uns entschieden, diese Worte dennoch hier mitzuliefern, da sie doch einiges verständlicher machen, was zuvor nur Kopfschütteln bei uns ausgelöst hat.

Ob oder wie die drei furchtsamen und furchtlosen Helden sich selbst finden, sei hier jedoch nicht verraten. Doch es scheint darum zu gehen, den Moment zu nutzen, in dem Mann seine Chance bekommt, Mann zu sein! (Dieser kleine Sarkasmus sei uns noch gestattet!)

Natürlich ist der Film sehenswert – er provoziert extrem viel Fragen und Unverständnis, aber er wird nicht langweilig. Die Bilder sprechen oft nicht das, was wir von einem Film mit Teddy-Label erwarten, aber sie sprechen eine kräftige und fesselnde Sprache. Es ist einer jener Filme, für die wir froh sind, sie auf der Berlinale gesehen zu haben, statt die DVD irgendwann mit einem Kopfschütteln auszuwerfen. Ist es ein „schwuler“ Film? Möglicherweise! Ist es ein Männerfilm? Definitiv!

Am Ende beantwortet David Bowie die noch offenen Fragen:

And you, you can be mean
And I, I'll drink all the time
'Cause we're lovers, and that is a fact
Yes we're lovers, and that is that

Though nothing, will keep us together
We could steal time,
just for one day
We can be Heroes, for ever and ever
What d'you say?


Echte Kerle: Clemens Schick, Wagner Moura, Jesuita Barbosa, Foto: Berlinale Filmstills

Autor*in
Martin Schmidtner

ist Blogger für kulturelle Events.

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