Kultur

Auf der anderen Seite

von Kai Doering · 28. Mai 2013

Die Bilder waren auch im westlichen Fernsehen allgegenwärtig: Menschemassen auf dem Tahrir-Platz in Kairo und die Soldaten von Husni Mubarak, die versuchen, das alte Regime gegen die Wirren des Arabischen Frühlings zu verteidigen. Was mit den Menschen in Ägypten in dieser Zeit geschah, erzählt der Spielfilm "Nach der Revolution".

Die Revolution tötet die Tiere zuerst. Reihenweise liegen die Kadaver von Kamelen und Pferden am Straßenrand. Es gibt nicht genug Futter, um sie zu ernähren. Wir befinden uns im Frühjahr 2011. Einige Wochen zuvor haben Zehtausende auf dem Tahrir-Platz in Kairo gegen die Regierung des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak demonstriert. Nach Tunesien ist der so genannte Arabische Frühling auch ins Land der Pharaonen übergeschwappt.

Die Situation ist unübersichtlich. Am 2. Februar haben Pro-Mubarak-Kräfte auf dem Tahrir-Platz Regimegegner angegriffen. Unterstützt wurden sie von Reitern auf Kamelen und Pferden. Der Tag wird als „Schlacht der Kamele“ bekannt werden. Unter den Reitern war auch Mahmoud. Die Demonstranten haben ihn vom Pferd gezerrt und verprügelt. Zu sehen ist das auf Internetvideos auf Youtube. Mahmoud verliert seine Arbeit, seine Freunde meiden ihn. Und Futter für sein Pferd gibt es von der Hilfsorganisation, die es kostenlos an Bedürftige verteilt, auch nicht mehr.

Hoffnung auf ein freies Ägypten

Reem war am Tag der „Schlacht der Kamele“ auch auf dem Tahrir-Platz. Sie ist eine Gegnerin des Regimes, gebildet und glühende Feministin. Reem hofft auf ein schnelles Ende der Mubarak-Regierung und auf ein freies Ägypten. Reem und Mahmoud könnten unterschiedlicher kaum sein als sie wenige Wochen nach den Ereignissen des 2. Februar aufeiandertreffen – und sich eine Romanze zwischen ihnen entwickelt.

Regisseur Yousry Nasrallah nimmt die Begegnung von Reem und Mahmoud als Ausgangspunkt für seinen Film „Nach der Revolution“ (Baad El Mawekaa). Er erzählt darin die Situation in Ägypten zwischen Februar und Oktober 2011 mithilfe einer fiktiven Geschichte nach. Der Hintergrund freilich ist nichts als die Realität.

Die soziale Situation der Menschen wie Mahmoud, die wegen der ausbleibenden Touristen ihre Existenzgrundlage verlieren, die Kämpfe, die Frauen am Rande der Revolution ausfechten müssen, um auch wenigstens ein bisschen von den neuen Freiheiten zu profitieren, und das Vorgehen der alten Machthaber, die um ihre Pfründe fürchten und versuchen, möglichst viel ihres Einflusses in die neue Zeit zu retten – all das entspricht der Wirklichkeit im Ägypten des Jahres 2011. „Der Film hat auch einen dokumentarischen Aspekt, berührt die Realität und ist dennoch frei erfunden“, sagt der Regisseur selbst dazu.

Auf der anderen Seite
Auf der Suche nach einem neuen Platz

Die Geschichte ist schön erzählt. Reem (Menna Shalabi), die versucht, Mahmoud (Bassam Samra), seiner Frau Fatma (Nahed El Sebai) und den Kindern zu helfen und dabei ihre Eifersucht unterdrückt während ihre Freudin ihr rät, „aus einer Liebesgeschichte keine politische Sache“ zu machen. Mahmoud, der verzweifelt, weil er auf die Einflüsterer Mubaraks gehört hat, die ihm versprachen, wenn der Präsident bleibe, würden auch die Touristen zurückkehren und sich deshalb gegen die Demonstranten stellte. Und Fatma, die die Anziehung zwischen ihrem Mann und Reem spürt und sich dennoch aus vollem Herzen mit der Nebenbuhlerin befreundet, deren freier Lebensstil sie fasziniert und von der sie nach und nach politisiert wird. Sie alle stehen stellvertretend für die gesellschaftlichen Gruppen, die in diesen Tagen im Jahr 2011 ihren Platz in einem neuen Ägypten suchten und deren Hoffnungen allzu oft enttäuscht wurden.

Yousry Nasrallah hat einen sehr ruhigen Film gedreht, der ohne dramatische Musik und spektakuläre Kameraeinstellungen auskommt. "Unsere Arbeit wurde sehr stark von den realen Ereignissen beeinflusst, wir reagierten auf das, was geschah", erzählte Nasrallah über die Dreharbeiten, die über einen Zeitraum von acht Monaten an Originalschauplätzen stattfanden. Dabei gerieten der Regisseur und sein Team einmal selbst zwischen die Fronten. Am Tahrir-Platz wurden sie fast verprügelt.

"Für die gesprochenen Worte gab es ein Drehbuch, das allerdings am Vorabend des jeweiligen Drehtags, manchmal wenige Stunden zuvor, noch geändert wurde", verrieht Nasrallah in einem Interview. Seinem Film tut das gut. Er überzeugt durch die Geradlinigkeit der Erzählung und die Leistung der Schauspieler. Die Einbeziehung von Originalaufnahmen der Ereignisse im Frühling und Sommer 2011 werten den Film zusätzlich auf und verleihen ihm Authentizität.

„Ägypten wird genauso sein wie früher – nur ohne Mubarak“, sagt Haj Abdallah, der lokale Stellvertreter des Regimes, dem sich Mahmoud aus lauter Verzweiflung zwischenzeitlich als Leibwächter andient, in der zweiten Hälfte des Films. Er will Mahmoud damit beruhigen. Beim Zuschauer bewirkt er eher das Gegenteil.

Info: Nach der Revolution (Baad El Mawekaa), (Frankreich, Ägypten 2012), 122 Minuten, mit Menna Shalabi, Bassem Samra, Nahed El Sebai, Salah Abdallah u.a.) Kinostart am 30. Mai

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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